RVG VV Anm. Abs. 1 zu Nr. 3104 FamFG §§ 49 ff., 155 Abs. 2
Leitsatz
In einstweiligen Anordnungsverfahren betreffend eine Kindschaftssache entsteht keine Terminsgebühr, wenn das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheidet.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 8.2.2013 – 18 WF 154/12
1 Sachverhalt
Für ein Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Übertragung der elterlichen Sorge für die gemeinsamen Kinder war der Antragsgegnerin Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden und ihr Anwalt beigeordnet worden. Mit Beschluss des FamG wurde gem. § 36 Abs. 3 FamFG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO im schriftlichen Verfahren festgestellt, dass zwischen den Eltern ein verfahrensbeendender Vergleich dahingehend zustande gekommen ist, wonach die Kinder bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens ihren Lebensmittelpunkt beim Antragsteller haben sollen.
Daraufhin beantragte der der Antragsgegnerin beigeordnete Verfahrensbevollmächtigte die Festsetzung seiner Vergütung gegenüber der Landeskasse in Höhe von 461,13 EUR, im Einzelnen eine 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV), eine 1,2-Terminsgebühr (Nr. 3104 VV) sowie eine 1,0-Einigungsgebühr (Nr. 1000 VV) jeweils aus einem Verfahrenswert von 1.500,00 EUR nebst Auslagen und Umsatzsteuer.
Die Rechtspflegerin setzte die aus der Staatskasse an den Verfahrensbevollmächtigten zu zahlende Verfahrenskostenhilfevergütung auf lediglich 311,19 EUR fest; die Terminsgebühr wurde abgesetzt.
Gegen diesen Beschluss hat der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin Erinnerung eingelegt. Er ist der Auffassung, dass im vorliegenden Fall die Terminsgebühr gem. Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV entstanden sei. § 155 Abs. 2 FamFG schreibe in Kindschaftssachen zwingend die Erörterung vor.
Die Rechtspflegerin hat der Erinnerung nicht abgeholfen; der Richter hat sie zurückgewiesen.
Dagegen hat der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin die vom FamG zugelassene Beschwerde eingelegt. Er beantragt weiterhin die Festsetzung der Terminsgebühr zuzüglich Umsatzsteuer.
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Eine Terminsgebühr ist nicht entstanden.
1. Gem. Vorbem. 3 Abs. 3 VV entsteht eine Terminsgebühr für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin (1. Alt.) oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung des Gerichts (3. Alt.). Ein Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin hat im vorliegenden Fall ebenso wenig stattgefunden wie Vermeidungs- oder Erledigungsgespräche.
2. Nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV entsteht eine Terminsgebühr auch dann, wenn in einem Verfahren, für das die mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien oder Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Auch diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Auf die streitige Frage, ob die Terminsgebühr anfällt, wenn von einer in § 155 Abs. 2 FamFG vorgeschriebenen Erörterung mit den Beteiligten einer in § 155 Abs. 1 FamFG bezeichneten Kindschaftssache abgesehen wird (so OLG Stuttgart FamRZ 2011, 591 [= AGS 2010, 586]; ablehnend OLG Celle FamRZ 2012, 245 [= AGS 2011, 611]; OLG München FamRZ 2012, 1582 [= AGS 2012, 134]; OLG Hamm, Beschl. v. 1.10.2012 – 6 WF 46/12 [= AGS 2012, 562]), kommt es hier nicht an.
Denn es handelt sich vorliegend um ein einstweiliges Anordnungsverfahren. Entscheidungen im einstweiligen Rechtschutz gem. §§ 49 ff. FamFG können nach der ausdrücklichen Regelung des § 51 Abs. 2 S. 2 FamFG ohne mündliche Verhandlung ergehen. Auch in Kindschaftssachen ist deshalb ein Erörterungstermin nach § 155 Abs. 2 FamFG vor Erlass einer einstweiligen Anordnung weder zwingend vorgeschrieben noch erforderlich (Zöller/Feskorn, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 51 Rn 8; Musielak/Borth, FamFG, 3. Aufl. 2012, § 51 Rn 8). Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung oder ohne Durchführung eines Erörterungstermins löst somit im einstweiligen Anordnungsverfahren keine Terminsgebühr aus (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 20. Aufl. 2012, VV 3104 Rn 37; OLG Köln, Beschl. v. 27.4.2012 – 4 WF 22/12 [= AGS 2012, 519]).
In Hinblick darauf, dass vorliegend auch kein Antrag auf einen Erörterungstermin nach §§ 54 Abs. 2, 155 Abs. 2 FamFG gestellt wurde (dazu Keidel/Giers, FamFG, 17. Aufl. 2012, § 54 Rn 13), kommt es ebenso wenig auf die Frage an, ob gegebenenfalls in diesen Fällen bei einem Vergleich ohne mündliche Verhandlung die Terminsgebühr entstehen kann (ablehnend Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O., VV 3104 Rn 39).
3 Anmerkung
Die Entscheidung des OLG ist zutreffend. Das Entstehen einer "fiktiven" Terminsgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV soll grundsätzlich auf diejenigen Fälle beschränkt sein, in denen der Anwalt durch sein Verfahrensverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann.
In einstweiligen Anordnungsverfahren besteht nach § 54 Abs. 2 FamFG zwar die grundsätzliche Möglichkeit, das Gericht dazu zu bringen, über den einstweiligen Anordnungsantrag aufgrund mün...