Leitsatz
Nach Trennung eines Prozesses i.S.d. § 145 Abs. 1 ZPO wird der gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV anrechenbare Anteil der tatsächlich angefallenen Geschäftsgebühr auf jede der in den gesonderten Einzelverfahren entstandenen Verfahrensgebühren (Nr. 3100, Vorbem. 3 Abs. 2 VV) quotal angerechnet entsprechend dem Verhältnis des jeweiligen Einzelstreitwerts zu dem Streitwert des ursprünglichen Gesamtverfahrens.
BGH, Urt. v. 24.9.2014 – IV ZR 422/13
1 Sachverhalt
Der Kläger nimmt die Beklagte aus der bei ihr gehaltenen Rechtsschutzversicherung auf Freistellung von anwaltlichen Vergütungsansprüchen in Anspruch.
Mit ihrer Deckungszusage erhob der Kläger – vertreten durch seine damaligen Prozessbevollmächtigten (nachfolgend: Prozessbevollmächtigte) – im Jahr 2011 Klage gegen insgesamt vier Beklagte vor dem LG Dortmund. Dieses verwies den Rechtsstreit hinsichtlich zweier Beklagter nach Prozesstrennung wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit an das LG Stade.
Die Beklagte regulierte eine 1,5-Geschäftsgebühr für die außergerichtliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten. Für das Verfahren vor dem LG Dortmund übernahm sie – wie von den Prozessbevollmächtigten angesetzt – unter Anrechnung der Hälfte dieser Geschäftsgebühr eine Verfahrens- sowie eine Terminsgebühr. Nach demselben Gegenstandswert für diese Gebühren in Höhe von 57.750,00 EUR berechneten die Prozessbevollmächtigten für das Verfahren vor dem LG Stade eine 1,3-Verfahrens- und eine 1,2-Terminsgebühr gem. § 13 RVG, Nr. 3100, 3104 VV jeweils in der bis zum 31.7.2013 geltenden Fassung (nachfolgend: RVG a.F. bzw. VV a.F.) zuzüglich Pauschale für Post und Telekommunikation (Nr. 7002 VV a.F.) sowie Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV a.F.), insgesamt 3.364,73 EUR. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte die Verfahrensgebühr in voller Höhe zu übernehmen hat.
Die Beklagte, die auf diese Kostenrechnung keine Zahlung erbracht hat, meint, diese sei inhaltlich falsch und damit insgesamt nicht fällig. Bei einzelner Abrechnung der nach Prozesstrennung gesonderten Verfahren müsse wegen der Gegenstandsgleichheit die Geschäftsgebühr jeweils auf beide Verfahrensgebühren angerechnet werden. Nach Auffassung des Klägers überschritte dies den Anrechnungshöchstsatz von 0,75 gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV a.F.
Das AG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LG die Beklagte ohne weitere Anrechnung der Geschäftsgebühr zur Freistellung durch Zahlung von 3.364,73 EUR zuzüglich Zinsen verurteilt. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Die Revision hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die vor dem LG Stade nach der Prozesstrennung neu entstandene Verfahrensgebühr sei mit der in dem Rechtsstreit gegen alle vier Beklagten vor dem LG Dortmund bis dahin erwachsenen Gebühr nicht identisch. Die in der vorgerichtlichen Tätigkeit gegen sämtliche Beklagten gemeinschaftlich begründete Geschäftsgebühr sei allein auf letztere anrechenbar.
II. Dies hält der rechtlichen Überprüfung nur im Ergebnis stand.
1. Der Kläger hat aus § 125 VVG i.V.m. dem Versicherungsvertrag einen Anspruch auf Befreiung von den anwaltlichen Vergütungsansprüchen i.S.d. der – hier gem. § 60 Abs. 1 S. 1, S. 3 RVG weiterhin anzuwendenden – § 1 Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 2 S. 1 RVG a.F. i.V.m. dem VV a.F. Dem Grunde nach steht dieser Anspruch außer Streit.
2. Die Beklagte ist im geltend gemachten Umfang zur Freistellung verpflichtet. Zwar hat das Berufungsgericht verkannt, dass sich die Anrechnung der Geschäftsgebühr i.S.d. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV a.F. – anteilig – auf die vor dem LG Stade angefallene Verfahrensgebühr erstreckt (unter a). Dieser gebührenrechtliche Fehler wirkt sich aber auf die Höhe der von der Beklagten aus dem Rechtsschutzfall zu tragenden Kosten nicht aus (unter b).
a) Macht der Rechtsanwalt – wie hier – die Verfahrensgebühren aus den infolge der Prozesstrennung entstandenen gesonderten Einzelverfahren geltend, wird die vorgerichtliche Geschäftsgebühr auf diese jeweils anteilig gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV a.F. angerechnet.
aa) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht zunächst festgestellt, dass nach Prozesstrennung i.S.d. § 145 Abs. 1 ZPO in dem Verfahren vor dem LG Stade eine eigenständige Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV a.F., Vorbem. 3 Abs. 2 VV a.F. entstanden ist. In den aus der Prozesstrennung resultierenden Einzelverfahren fallen die vor der Prozesstrennung verdienten Gebühren bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen aus den jeweiligen Einzelstreitwerten erneut an (BVerwG, Beschl. v. 4.9.2009 – 9 KSt 10/09; OLG Brandenburg, Beschl. v. 3.1.2011 – 6 W 176/10 [= AGS 2011, 217]; OLG Braunschweig BeckRS 2009, 25583 unter II 1; OLG Düsseldorf OLGR 2000, 74 [= AGS 2000, 84]; 2009, 778 [= AGS 2009, 436]; LG Saarbrücken MDR 2001, 1442, 1443; AnwK-RVG/N. Schneider, 7. Aufl. § 15 Rn 167 f., 170; Hartmann, KostG, 44. Aufl. § 15 RVG Rn 68 "Trennung"; Hartung/Schons/Enders, RVG 2. Aufl., § 15 Rn 12, 24, 26 f., 34 ff.; ders., RVG für Anfänger 15. Aufl. Rn 1488; ders., ...