Wer lesen kann ist, ist im Vorteil – Teil 1

Keine Frage, über die Berechtigung von anwaltlichen Honorarforderungen gibt es zwischen Kanzleien und Rechtsschutzversicherern immer wieder Differenzen.

Insbesondere bei Rahmengebühren neigt der Rechtsschutzversicherer zu Kürzungen, während der Anwalt – naturgemäß – möglichst hoch abrechnen will.

Unberührt von solchen Auseinandersetzungen bleiben in der Regel allerdings reine Beratungsmandate, seit der Gesetzgeber zum 1.7.2006 sich in diesem Bereich von der gesetzlichen Vergütung verabschiedet und § 34 RVG "geschaffen" hat.

Allenfalls dann, wenn es der Rechtsanwalt – aus welchen Gründen auch immer – fahrlässig oder besser grob fahrlässig unterlässt, vor Übernahme des Mandates eine Gebührenvereinbarung zu treffen, läuft er Gefahr, sich vor Gericht mit der spannenden Frage auseinandersetzen zu müssen, was die übliche Vergütung darstellt.

Umgekehrt übernehmen Rechtsschutzversicherer die mit dem Mandanten vereinbarten Beratungsgebühren, wobei sie versicherungsvertraglich eine Beschränkung auf 190,00 EUR für das erste Beratungsgespräch und auf 250,00 EUR (jeweils netto) für jegliche weitere Beratung vornehmen, unabhängig davon, wie zeitintensiv und haftungsrelevant diese über die Erstberatung hinausgehende Beratung auch sein mag.

Die meisten Rechtsschutzversicherer beschäftigen gebührenkundige Sachbearbeiter, so dass jedenfalls überflüssige Streitereien – Gott sei Dank – nicht den Weg zum Gericht finden.

Eine Ausnahme stellt offenbar die hier betroffene Versicherung dar, die allen Ernstes im Jahre 2015 – also knapp 11 Jahre (!!!) – nach Inkrafttreten von § 34 RVG zum Besten geben lässt, es käme auch bei einer vereinbarten Beratungsgebühr noch auf den Gegenstandswert an.

Nach Ermittlung des zutreffenden Gegenstandswertes könne man dann auf den Rahmen einer Geschäftsgebühr zurückgreifen, wobei das Beratungshonorar zwingend geringer sein müsse als die "Regelgeschäftsgebühr" mit dem Faktor 1,3.

Noch abenteuerlicher wird es, wenn die Rechtsschutzversicherung, die sich unvorsichtigerweise trotz fehlender Kompetenz selbst vertrat, die noch drolligere Auffassung zum Besten gibt, die in § 612 Abs. 2 BGB genannte "Taxe" finde sich im RVG.

Hier hat offenbar ein Sachbearbeiter drauflos fabuliert, der sich nicht die Zeit nehmen wollte, in einen einzigen beliebigen Kommentar zu schauen.

Schon der Kollege Römermann schrieb seinerzeit, dass sich der Gesetzgeber mit Schaffung von § 34 RVG wohl kaum in das Nirwana seiner eigenen Hilflosigkeit geschlichen hätte, wenn man letztendlich doch wieder bei den gesetzlichen Gebühren des RVG hätte landen wollen.[1]

Bei ein wenig Nachdenken kommt man eigentlich auch ohne Blick in die einschlägige Kommentarliteratur zu der problemlosen Feststellung, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung in § 34 RVG den vorsichtigen Einstieg in den Ausstieg von den gesetzlichen Gebühren wagen oder antesten wollte. Dies geht auch aus der Gesetzesbegründung hervor, und da dies so ist, kommt es weder auf den Gebührenrahmen von Nr. 2300 VV noch auf den Gebührenrahmen von Nr. 2100 VV a.F. und bei richtiger Sachbeurteilung auch nicht auf den Gegenstandswert an.

Soweit das AG Stuttgart und ansatzweise auch das hier besprochene Urteil des AG Siegburg die Frage des Gegenstandswertes – und sei es auch nur unter Haftungsgesichtspunkten – thematisiert, findet dies weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung eine Grundlage.

Eine andere Frage ist es, ob der Rechtsanwalt, der eine Gebührenvereinbarung trifft, einen Gegenstandswert in seinen Gebührenvorschlag mit einbezieht, um bei seinem Gegenüber, dem zukünftigen Mandanten eine Akzeptanz des Honorarvorschlages herbeiführen zu können.

Ist – wie in dem hier besprochenen Fall – eine Gebührenvereinbarung allerdings nicht getroffen worden, so ist ausschließlich auf die Üblichkeit, bzw. die Ortsüblichkeit abzustellen, und dass Rechtsanwälte bundesweit jedenfalls im Durchschnitt einen Stundensatz von 190,00 EUR verlangen und in der Regel auch erhalten, ist spätestens seit der Studie von Hommerich wohl allgemein bekannt.[2]

Dort wurde zwar ein durchschnittlicher Stundensatz von 182,00 EUR ermittelt, der aber auch die schwächsten sozialen Gebiete der Bundesrepublik in die Befragung mit einbezog.

Hier wird ohnehin dieser ermittelte durchschnittliche Stundensatz gerade einmal um 8,00 EUR überschritten, wobei nach dem Vortrag des klagenden Rechtsanwalts ja auch mehr als eine Stunde für die Beratungstätigkeit insgesamt aufgewandt wurde.

Auch dieses völlig überflüssige Verfahren gibt Anlass, darüber nachzudenken, beim nächsten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz dem RVG einen neuen § 1 voranzustellen, der dann lauten sollte:

"Dieses Gesetz ist auch anzuwenden."

Leuten, die allerdings nicht lesen oder nicht lesen wollen, wird dies dann allerdings wohl auch nicht helfen.

Herbert P. Schons, Duisburg

AGS 11/2015, S. 503 - 505

[1] Römermann, MDR 2004, 421; siehe auch schon Madert, in: Gerold/Schmidt, RVG, 16. Aufl. § 34 Rn 10.
[2] Hommerich/Kilian, Vergütungsbarometer...

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