Leitsatz
- Eine im Widerspruchsverfahren entstandene Geschäftsgebühr ist nicht nach der Vorbem. 3 Abs. 4 VV auf die Verfahrensgebühr für eine auf Erteilung des Widerspruchsbescheids gerichtete Untätigkeitsklage anzurechnen.
- Ein vor Kenntnis einer Untätigkeitsklage ergangener Widerspruchsbescheid stellt kein Anerkenntnis i.S.d. Nr. 3106 S. 2 Nr. 3 VV dar.
SG Gießen, Beschl. v. 1.8.2016 – S 23 SF 48/14 E
1 Aus den Gründen
Der Erinnerungsführer wendet sich gegen die Höhe der Kostenfestsetzung zugunsten der Erinnerungsgegnerin.
In dem zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren ging es um eine Untätigkeitsklage wegen eines durch den Erinnerungsgegnervertreter eingelegten Widerspruchs. Die vom 2.8. datierende Klage ging bei Gericht am 7.8.2013 ein. Zuvor hatte der Erinnerungsgegnervertreter dem Erinnerungsführer eine Frist bis zum 1.8.2013 gesetzt. Unter dem 21.8.2013 erteilte der Erinnerungsführer den Widerspruchsbescheid. Die Übersendung der Klage durch das Gericht an den Erinnerungsführer zusammen mit der inzwischen eingegangenen Erledigungserklärung erfolgte erst am 3.9.2013.
Das Gericht ordnete daraufhin die Erstattung der Kosten der Erinnerungsgegnerin durch den Erinnerungsführer an. Dieser beantragte sodann, Kosten in Höhe von 362,95 EUR festzusetzen.
Verfahrensgebühr |
150,00 EUR |
Terminsgebühr |
135,00 EUR |
Pauschale |
20,00 EUR |
Mehrwertsteuer |
57,95 EUR |
Gesamt |
362,95 EUR |
Der Erinnerungsführer wies mit Schreiben vom 5.3.2014 darauf hin, dass sich bei Anwendung des bis zum 31.7.2013 geltenden Rechts nur ein Betrag von 243,95 EUR ergebe. Bei Anwendung des neuen Rechts seien 175,00 EUR anzurechnen.
Der Erinnerungsgegnervertreter teilte daraufhin mit, dass der Auftrag zur Klage am 2.8.2013 erteilt worden sei.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte die von dem Erinnerungsführer zu erstattenden Kosten antragsgemäß fest.
Der Erinnerungsführer ist der Auffassung, dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr nach der Vorbem. 3 Abs. 4 VV hätte erfolgen müssen. Ansonsten hätte nur die Mindestgebühr festgesetzt werden dürfen. Die Voraussetzungen einer Terminsgebühr hätten nicht vorgelegen. Es sei über den Widerspruch entschieden worden, bevor die Klage beim Erinnerungsführer eingegangen sei. Deshalb könne auch kein Anerkenntnis vorliegen.
Die Erinnerungsgegnerin verweist auf die Begründung des Beschl. v. 18.7.2014 und auf die Rspr. des Hessischen LSG zu dem Vorliegen eines Anerkenntnisses in einer Untätigkeitsklagesituation.
Aus den Gründen:
Die zulässige Erinnerung ist im tenorierten Umfang begründet.
Anwendbar ist das ab dem 1.8.2013 gültige Recht. Nach § 55 Abs. 1 RVG ist die Vergütung nach bisherigem Recht zu berechnen, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt bestellt oder beigeordnet worden ist. Der unbedingte Auftrag zur Erhebung der Klage wurde durch die Erinnerungsgegnerin erst am 2.8.2013 erteilt. Das Gericht hat keine erheblichen Zweifel an diesem anwaltlich zugesicherten Datum. Tatsächlich konnte die Erinnerungsgegnerin – wie der Erinnerungsgegnervertreter richtig einwendet – vor Ablauf der gesetzten Frist ohnehin noch keinen unbedingten Auftrag zur Klageerhebung erteilen, da es noch möglich war, dass der Erinnerungsführer in der gesetzten Frist den Widerspruchsbescheid noch erlassen und damit die Klage überflüssig machen werden würde.
Die Verfahrensgebühr ist entstanden und auch der Höhe nach durch den Erinnerungsgegnervertreter richtig bemessen.
Nach § 3 Abs. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das GKG nicht anzuwenden ist, Rahmengebühren. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt innerhalb des vorgegebenen Gebührenrahmens im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (S. 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (S. 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (S. 4), wobei ihm ein Toleranzrahmen von 20 % zusteht (BSG v. 1.7.2009 – B 4 AS 21/09 R, juris Rn 19 = BSGE 104, 30 ff. [= AGS 2010, 233]; BGH v. 31.10.2006 – VI ZR 261/05, Rn 5 [= AGS 2007, 28]). Unbilligkeit liegt vor, wenn er die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet, die Gebühr also auch unter Berücksichtigung des Toleranzrahmens zu hoch ansetzt (LSG Nordrhein-Westfalen v. 29.2.2016 – L 6 AS 1208/15 NZB, juris Rn 22). Bei der Bestimmung der Gebühr ist von der Mittelgebühr auszugehen, mit der die Tätigkeit eines Rechtanwaltes in einem Durchschnittsfall angemessen abgegolten wird (Hessisches LSG v. 26.10.2015 – L 2 SO 95/15 B, juris Rn 25).
Es entspricht der ständigen Rspr. des G...