GewSchG § 1; FamFG § 76 Abs. 1; ZPO § 114
Leitsatz
- Die gleichzeitige Geltendmachung eines Rechtsanspruchs durch einstweilige Anordnung und im Hauptsacheverfahren ist grundsätzlich nicht mutwillig i.S.d. § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 S. 1 ZPO.
- In FG-Angelegenheiten kann jedoch im Einzelfall Mutwilligkeit angenommen werden, wenn bereits durch den Erlass und Vollzug einer einstweiligen Anordnung sich die Angelegenheit erledigt.
- In Gewaltschutzverfahren würde ein kostenbewusster Beteiligter das Hauptsacheverfahren erst dann einleiten, wenn die im einstweiligen Anordnungsverfahren getroffenen Maßnahmen ein Hauptsacheverfahren deshalb nicht entbehrlich machen, weil sie wider Erwarten nicht zu einer Entspannung und Befriedung der Beteiligten führen.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.2.2017 – 18 WF 32/17
1 Sachverhalt
Mit Schriftsätzen vom selben Tage begehrte die Antragstellerin eine einstweilige Anordnung und eine Anordnung im Hauptsacheverfahren nach § 1 GewSchG. In beiden Verfahren war beantragt, das Betreten der Wohnung der Antragstellerin, die Annäherung an die Antragstellerin in einem Umkreis von 50m sowie die Kontaktaufnahme mittels Kommunikationsmitteln zu untersagen. Im Hauptsacheverfahren begehrte die Antragstellerin darüber hinaus die Untersagung der Annäherung an den Kindergarten des minderjährigen Sohnes sowie die Herausgabe der zur Wohnung der Antragstellerin gehörenden Schlüssel.
In beiden Verfahren beantragte die Antragstellerin die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe.
Im einstweiligen Anordnungsverfahren erließ das FamG die begehrte einstweilige Anordnung und gewährte die beantragte Verfahrenskostenhilfe.
Im Hauptsacheverfahren wies das Gericht darauf hin, dass angesichts des einstweiligen Anordnungsverfahrens für das Hauptsacheverfahren Verfahrenskostenhilfe nicht bewilligt werden könne und regte die Rücknahme des Antrags an. Da der Antrag nicht zurückgenommen wurde, lehnte das FamG schließlich den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe im Hauptsacheverfahren wegen Mutwilligkeit ab.
Die hiergegen erhobene Beschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Die gem. § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. §§ 127 Abs. 2 S. 2, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache keinen Erfolg. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragstellerin ist mutwillig, § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 S. 1 ZPO.
1. Eine Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht, § 114 Abs. 2 ZPO. Maßstab ist ein nicht hilfsbedürftiger Beteiligter, der die Kosten der Rechtsverfolgung selbst aufzubringen hat. Dieser wird regelmäßig bestrebt sein, den für ihn kostengünstigsten Weg zu wählen, wenn damit seinem Anliegen ausreichend Rechnung getragen wird (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 9.12.2009 – 10 WF 274/09, juris Rn 12 [= AGS 2010, 107]). Es ist nicht der Zweck der Verfahrenskostenhilfe, auf Kosten der Allgemeinheit bedürftigen Personen Prozesse zu ermöglichen, die der nicht bedürftige Beteiligte bei vernünftiger und sachgerechter Einschätzung der Sach- und Rechtslage nicht führen würde (Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl., 2016, § 114 Rn 30; Zöller/Geimer, ZPO, 31. Aufl., 2016, § 114 Rn 30 m.w.N.).
Zwar können grundsätzlich in Bezug auf einen Verfahrensgegenstand in allen Familiensachen i.S.d. § 111 FamFG Verfahren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach den §§ 49, 214 ff. FamFG und zur jeweiligen Hauptsache parallel geltend gemacht werden, weil im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich eine summarische Prüfung des Sachverhalts erfolgt und insbesondere keine materiell bindende Entscheidung getroffen werden kann. Entsprechend kann, wenn für beide Verfahren Verfahrenskostenhilfe beantragt wird, grundsätzlich keine Mutwilligkeit i.S.d. § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 S. 1 ZPO angenommen werden. Dem steht auch nicht der Gesichtspunkt entgegen, dass nach der Gesetzesbegründung das Verfahren der einstweiligen Anordnung ein entsprechendes Hauptsacheverfahren überflüssig machen soll. Entscheidend ist, ob für das Hauptsacheverfahren bei erlassener einstweiliger Anordnung die Notwendigkeit besteht, im Erkenntnisverfahren zur Hauptsache eine bindende Entscheidung herbeizuführen (Musielak/Borth, FamFG, 5. Aufl., 2015, § 76 Rn 27; OLG München, Beschl. v. 14.2.2012 – 26 WF 128/12, juris Rn 11 [= AGS 2013, 26]).
In FG-Angelegenheiten kann jedoch im Einzelfall die gleichzeitige Geltendmachung eines Rechtsanspruchs durch einstweilige Anordnung und im Hauptsacheverfahren mutwillig sein, wenn bereits durch den Erlass und Vollzug einer einstweiligen Anordnung sich die Angelegenheit erledigt (Musielak/Borth, a.a.O.). Dies gilt gerade auch für Gewaltschutzsachen. Verfahren in Gewaltschutzsachen (§§ 210–216a FamFG) sind zwar Antragsverfahren, es gilt jedoch der Amtsermittlungsgrundsatz und dies auch im Falle einer beantragten einstweiligen Anordnung. Dem FamG steht es frei, unter Beachtung der Eilbedürftig...