RVG §§ 15, 22 Abs. 1, 7; RVG VV Nr. 1008; VwGO § 93
Leitsatz
- Auch dann, wenn mehrere Bescheide ergehen, kann es rechtsmissbräuchlich sein, getrennte Widersprüche einzulegen und gesonderte Klagen zu erheben.
- Ist das der Fall, kann der Anwalt in jedem Verfahren nur den entsprechenden Anteil aus der (fiktiven) Gesamtvergütung erstattet verlangen.
OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 18.10.2018 – 4 O 34/18
1 Sachverhalt
Der Beklagte versah die Aufenthaltserlaubnis des Klägers und seiner sechs Familienangehörigen (Ehefrau und fünf minderjährige Kinder) jeweils mit der Nebenbestimmung "Wohnsitznahme nur in Schleswig-Holstein". Gegen diese Auflagen erhoben die Adressaten mit getrennten Schreiben Widerspruch. Auch die anschließenden Klage-, Berufungszulassungs- und Berufungsverfahren betrieben sie gesondert. Dem Kläger wurde für beide Instanzen Prozesskostenhilfe bewilligt. Nach Klaglosstellung und Hauptsachenerledigung in allen sieben Verfahren legte der Senat die Kosten jeweils dem Beklagten auf. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wurde für notwendig erklärt. Der Streitwert wurde in allen Verfahren für beide Instanzen auf jeweils 5.000,00 EUR festgesetzt. Die Gerichtskosten wurden gegenüber dem Beklagten für jedes Verfahren getrennt angesetzt.
Die Adressaten haben jeweils einzeln die Festsetzung der zu erstattenden Anwaltsvergütung auf 1.776,61 EUR (d.h. insgesamt 12.436,27 EUR) nebst Zinsen beantragt. Der Beklagte hat hiergegen eingewandt, dass der Rechtsanwalt vorliegend insgesamt in derselben Angelegenheit tätig geworden sei. Die Gebühren dürften deshalb gem. § 15 Abs. 2 RVG nur einmal gefordert werden; eine getrennte Abrechnung sei ausgeschlossen. Der Rechtsanwalt sei zur kostensparenden Prozessführung gehalten.
Ausgehend von einem Gesamtstreitwert von 5.000,00 EUR hat der Urkundsbeamte des VG die Kosten in einem einheitlichen Beschluss auf zusammen 3.679,30 EUR festgesetzt. Zur Begründung hat er ausgeführt: Im Kostenfestsetzungsverfahren sei u.a. zu prüfen, ob die getrennte Geltendmachung von Ansprüchen in mehreren Verfahren zu nicht vertretbaren Mehrkosten führe. Eine vorsorgliche Aufteilung in einzelne Verfahren bei gleicher Ausgangslage sei hier nicht notwendig gewesen. Hätten sich bei Erhebung nur einer Klage mit sieben Klägern während des Verfahrens verschiedenartige Interessenlagen herausgebildet, hätte das Gericht im konkreten Fall verfahrenstechnische Entscheidungen treffen können, um der individuellen Lage jedes einzelnen Klägers gerecht zu werden. Daher könnten nur die Kosten erstattet werden, die bei Anhängigkeit eines Verfahrens entstanden wären.
Die hiergegen erhobenen Erinnerungen hat das VG durch einheitlichen Beschluss zurückgewiesen. Die Kläger hätten in derselben Angelegenheit wegen desselben Gegenstands geklagt. Wegen der familiären Verbindung der Kläger liege eine Rechtsgemeinschaft vor. Bei einer Klage gegen einen Verwaltungsakt in Rechtsgemeinschaft handele es sich um einen wirtschaftlich identischen Streitgegenstand. Damit sei der vorliegende Fall vergleichbar, da im Hinblick auf Art. 6 GG die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Wohnsitzauflage nur einheitlich zu beantworten gewesen sei. Danach sei eine Abrechnung für jeden Kläger gesondert ausgeschieden.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Klägers. Zur Begründung führt er aus: Es habe Anlass zur getrennten Klageerhebung gegeben. Die Wohnsitzauflagen seien einzeln erlassene Verwaltungsakte, die eigenen Rechtsmittelfristen unterlägen. Die Verfahren seien weder vom VG noch vom OVG verbunden gewesen. Nach dem rechtskräftigen Abschluss könne aus den getrennten Verfahren nicht "eine Angelegenheit" gemacht werden. Selbst wenn dies möglich wäre, müssten die Kosten jedenfalls nach einem Wert von 35.000,00 EUR und nicht lediglich nach einem Wert von 5.000,00 EUR festgesetzt werden.
2 Aus den Gründen
Der Senat entscheidet gem. § 9 Abs. 3 S. 1 VwGO in der Besetzung mit drei Berufsrichtern, da für eine Beschwerde gegen die Entscheidung über eine Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss keine Einzelrichterzuständigkeit vorgesehen ist (vgl. VGH München, Beschl. v. 22.2.2018 – 15 C 17.2522, juris Rn 15; VGH Kassel, Beschl. v. 26.6.2018 – 2 E 1964/17, juris Rn 1).
Die zulässige Beschwerde ist in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang begründet.
Die Verbindung des Kostenfestsetzungsantrags des Klägers mit den Kostenfestsetzungsanträgen seiner Familienmitglieder, die der Urkundsbeamte des VG mit dem Erlass eines gemeinsamen Kostenfestsetzungsbeschlusses stillschweigend vorgenommen hat, ist aufzuheben. Die Verbindung von Kostenfestsetzungsverfahren aus getrennt geführten Prozessen ist unzulässig, wenn damit eine vermeintlich zu Unrecht unterbliebene Verbindung der Ausgangsverfahren "nachgeholt" werden soll. § 93 S. 1 VwGO kann dafür nicht entsprechend herangezogen werden. Die Prozessverbindung ist – ebenso wie die Prozesstrennung – eine Frage der prozessualen Zweckmäßigkeit, über die allein das Gericht des Ausgangsverfahrens zu befinden hat. ...