GKG § 45 Abs. 1 S. 3, Abs. 2
Leitsatz
Bei wechselseitig eingelegten Rechtsmitteln, mit denen vom Kläger eine Erhöhung der Haftungsquote und vom Beklagten eine Herabsetzung der Haftungsquote angestrebt wird, findet § 45 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 GKG keine Anwendung. Es findet eine Addition der beiden Streitwerte statt.
OLG Oldenburg, Beschl. v. 28.8.2019 – 1 U 19/19
1 Aus den Gründen
Die Parteien streiten über die Haftungsquote aus einem Verkehrsunfall. Der Kläger beantragt die Feststellung, dass die Beklagten für die Folgen des Unfalls zu 3/4 haften. Er lässt sich1/4 Mithaftung anrechnen. Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt.
Das LG hat die Beklagten zu einer Haftung von 50 % verurteilt.
Gegen diese Entscheidung wenden sich beide Parteien. Sie verfolgen ihre erstinstanzlichen Ziele weiter.
Der Senat hat beide Parteien zu der beabsichtigten Zurückweisung ihrer Rechtsmittel nach § 522 Abs. 2 ZPO angehört. Daraufhin haben beide Parteien ihre Berufung zurückgenommen.
Der Streitwert war auf den vollen Wert, der sich aus der Addition beider Rechtsschutzziele ergibt, festzusetzen, also im Ergebnis auf 75 % des Schadens. § 45 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 GKG findet keine Anwendung (gegen OLG Celle, Urt. v. 23.1.2008 – 14 U 98/07; OLG Celle, Urt. v. 6.6.2007 – 14 U 64/07 [= AGS 2008, 39]; OLG Celle, Urt. v. 18.6.2007 – 14 U 202/06).
Für die Streitwertfestsetzung bei wechselseitig eingelegten Rechtsmitteln ist nicht der zivilprozessuale Streitgegenstandsbegriff maßgeblich, sondern allein eine wirtschaftliche Betrachtung. Zweck der Vorschrift des § 45 Abs. 2 u. 1 GKG ist, den Gebührenstreitwert niedrig zu halten, wenn die gemeinschaftliche Behandlung der Rechtsmittel die Arbeit des Gerichts vereinfacht. Eine Zusammenrechnung der jeweiligen Rechtsmittelwerte hat nur dann zu erfolgen, wenn durch das Nebeneinander der gegenläufigen Anträge eine wirtschaftliche Werthäufung entsteht. Diese liegt aber nur dann vor, wenn die gegenseitigen Ansprüche nicht in der Weise nebeneinanderstehen können, dass das Gericht unter Umständen beiden stattgeben kann, hingegen nicht, wenn die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des andern Antrags nach sich zieht (vgl. RGZ 145, 164, 166; BGHZ 43, 31, 33; BGH, Beschl. v. 27.2.2003 – III ZR 115/02, NJW-RR 2003, 713 [II.]; BGH, Beschl. v. 6.10.2004 – IV ZR 287/03, NJW-RR 2005, 506, juris Rn 8 und 9 m. w. N.).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Ansicht des OLG Celle, die Begehren der Parteien schlössen sich in diesen Fällen aus, weil der Erfolg des einen Rechtsmittels notwendig den Misserfolg des anderen zur Folge hat, greift zu kurz. Natürlich ist es richtig, dass das Berufungsgericht nicht sowohl der Klage auf ¾ des Schadens als auch dem Klagabweisungsantrag der Beklagten stattgeben kann. Dies schließt sich zwingend aus.
Aber es ist, wie hier auch geschehen, durchaus möglich, dass der Senat die Berufung des Klägers für unbegründet hält. Damit ist aber keineswegs verbunden, dass die Berufung der Beklagten Erfolg hat. Vielmehr ist bei Erfolglosigkeit der Berufung des Klägers immer noch das Rechtsmittel der Beklagten zu prüfen. Dies gilt genauso im umgekehrten Fall. Versagt der Senat der Berufung der Beklagten den Erfolg, bedeutet dies nicht, dass damit zwangsläufig der Berufung des Klägers stattgegeben werden muss. Vielmehr ist auch bei Unbegründet der Berufung auf Beklagtenseite unabhängig davon die Begründetheit der Berufung auf Klägerseite zu prüfen. Eine Arbeitsvereinfachung für das Gericht durch eine gemeinschaftliche Behandlung der Rechtsmittel, die Sinn der Gebührenprivilegierung aus §§ 45 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 GKG ist, liegt gerade nicht vor.
Das erstinstanzliche Urteil ist infolge der beiderseitigen Berufungen vollumfänglich zur Überprüfung durch den Senat gestellt worden und nicht nur in Höhe des höheren Wertes der beiden Berufungen (so jedoch OLG Celle, Urt. v. 6.6.2007 – 14 U 64/07 [= 14 U 64/07]). Der Streitwert muss daher in beiden Instanzen identisch sein.
AGS 11/2019, S. 518 - 519