Nach Auffassung des LSG München war die Beschwerde der Staatskasse jedoch nicht begründet, da die angegriffene Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung nicht zu beanstanden sei.
1. Zulässigkeit der Erinnerung
Entgegen der Auffassung des SG München hat das LSG München die Erinnerung der Staatskasse gegen die Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung als zulässig angesehen. Das LSG hat darauf hingewiesen, dass die Erinnerung nach der gesetzgeberischen Wertung des § 56 Abs. 2 S. 1 RVG, der für die Erinnerung gerade nicht auf die Fristbestimmung des § 33 Abs. 3 RVG verweise, unbefristet sei. Diese Regelung sei auch verfassungskonform, weil dem Umstand, dass das Erinnerungsrecht der Staatskasse unbefristet sei, durch das Rechtsinstitut der Verwirkung Rechnung getragen werde.
2. Keine Verwirkung des Erinnerungsrechts
Nach den weiteren Ausführungen des LSG München ist die Verwirkung ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens. Sie setze voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechs während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes die verspätete Geltendmachung des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lasse. Die Verwirkung erfordere somit das Vorliegen besonderer Umstände, die dann gegeben seien, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr weiter geltend machen werde und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird und sich infolge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen werde.
a) Zeitmoment
Das LSG München hatte bisher die Auffassung vertreten, eine Verwirkung des Erinnerungsrechts komme regelmäßig schon nach Ablauf eines Jahres nach dem Wirksamwerden der Festsetzungsentscheidung in Betracht (LSG München AGS 2012, 584 und AGS 2017, 114).
Andere Gerichte nehmen hingegen entsprechend § 20 GKG und § 19 Abs. 1 FamGKG eine Verwirkung mit Ablauf des auf die Festsetzung folgenden Kalenderjahres an (OLG Brandenburg RVGreport 2010, 218 [Hansens] = AGS 2011, 280; OLG Düsseldorf AGS 2017, 350; offen: LSG Essen, Beschl. v. 2.10.2020 – L 13 SB 195/20 B).
Vorliegend war die Erinnerung des Vertreters der Landeskasse zwar noch in dem auf die Festsetzung am 25.10.2016 folgenden Kalenderjahr, nämlich noch am 15.12.2017, beim SG eingegangen, jedoch nicht mehr binnen eines Jahres nach der Festsetzung.
b) Umstandsmoment
Das LSG München hat darauf hingewiesen, dass eine Verwirkung unabhängig vom zeitlichen Moment auch im Kostenrecht noch eines Umstandsmoments bedürfe (so auch LSG Niedersachen-Bremen, Beschl. v. 10.12.2018 – L 7 AS 4/17 B; LSG Erfurt, Beschl. v. 23.7.2018 – L 1 SF 497/16 B; LSG Essen, Beschl. v. 30.4.2018 – L 9 AL 223/16 B). Soweit das LSG München in früheren Entscheidungen die Auffassung vertreten habe, eine Verwirkung des Erinnerungsrechts der Staatskasse trete regelmäßig schon nach Ablauf eines Jahres nach Wirksamwerden der Festsetzungsentscheidung ohne Unterscheidung zwischen dem Zeit- und dem Umstandsmoment ein, halte der Senat hieran nicht mehr fest.
Das Rechtsinstitut der Verwirkung folge aus dem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzprinzip, wonach Entscheidungen von Behörden und Gerichten innerhalb angemessener Zeit bestandskräftig bzw. rechtskräftig werden können und daher grds. nicht mehr abgeändert werden können. Dies werde durch das Rechtsinstitut von Treu und Glauben gem. § 242 BGB gewährleistet, indem unter bestimmten Voraussetzungen von einer Verwirkung des Erinnerungsrechts auszugehen ist. Jedoch sind nach den weiteren Ausführungen des LSG München Anhaltspunkte für eine absolute Obergrenze bereits nach einem Jahr nicht ersichtlich. Sie können auch nicht mit entsprechenden Anfechtungsfristen bei falschen oder unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrungen begründet werden.
Das LSG München hat dahinstehen lassen, ob das Zeitmoment regelmäßig entsprechend § 20 GKG, § 19 FamGKG mit Ablauf des auf die Festsetzung folgenden Kalenderjahres erfüllt ist. Die Erinnerung des Vertreters der Staatskasse war hier nämlich am 15.12.2017 und damit kurz vor Ablauf der in den genannten Vorschriften erwähnten Frist beim SG München eingegangen.
Nach Auffassung des LSG München fehlte es hier an dem für die Annahme einer Verwirkung erforderlichen Umstandsmoment. Allein aufgrund der vollständigen Zahlung der beantragten Vergütung habe sich der Rechtsanwalt nicht darauf einrichten dürfen, die Landeskasse werde ihr Recht auf Erinnerung nicht mehr geltend machen. Andere Umstände, aus denen für den Rechtsanwalt ein Vertrauensschutz hätte erwachsen können, würden nicht vorliegen. Ein solcher Fall könne dann gegeben sein, wenn die Staatskasse trotz Erinnerung des Rechtsanwalts ihrerseits selbst keine Erinnerung ge...