Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. beigeordneter Rechtsanwalt. Verwirkung des Erinnerungsrechts der Landeskasse
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Verwirkung des Erinnerungsrechtes nach § 56 Abs 2 S 1 RVG tritt nicht regelmäßig schon nach Ablauf eines Jahres nach Wirksamwerden der Gebührenfestsetzungsentscheidung ein (Abkehr von LSG München vom 4.10.2012 - L 15 SF 131/11 B E = AGS 2012, 584).
2. Unabhängig vom zeitlichen Moment bedarf die Annahme einer Verwirkung auch im Kostenrecht noch eines Umstandsmoments. Allein ein Zeitablauf bewirkt auch hier keine Verwirkung.
Tenor
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 2. Juli 2018, S 28 SF 602/17 E, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH), hier der Höhe der Verfahrensgebühr, sowie darüber, ob das Erinnerungsrecht des Beschwerdeführers (Bf.) verwirkt ist.
Der Beschwerdegegner (Bg.) wurde in einem auf die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter dem Aktenzeichen S 32 AS 96/15 gerichteten Klageverfahren dem dortigen Kläger als Prozessbevollmächtigter mit Beschluss des Sozialgerichts München (SG) vom 20.05.2015 ab Antragstellung beigeordnet. In dem Verfahren S 32 AS 96/15 hatte der Kläger persönlich am 15.01.2015 Klage erhoben und PKH beantragt.
Nach der Beiordnung nahm der Bg. Akteneinsicht und bat auf ein gerichtliches Schreiben, mit dem er aufgefordert wurde, die Klage zu begründen und zum Rechtsschutzziel Stellung zu nehmen, um Fristverlängerung. Zur Begründung hierfür wurde ausgeführt, im Rahmen der Akteneinsicht gefundene Unterlagen machten es notwendig, mit dem Kläger die Fortführung des Verfahrens eingehend zu besprechen. Am 28.10.2015 nahm der Bg. nach Rücksprache mit dem Kläger die Klage zurück.
Mit Schriftsatz vom 23.09.2016 beantragte der Bg. beim SG die Erstattung der Gebühren und Auslagen für seine Tätigkeit in dem Klageverfahren. Abgerechnet wurden dabei nach dem Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 250,00 Euro, die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro sowie 51,30 Euro Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG, insgesamt also 321,30 Euro. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle stellte am 25.10.2016 den dem Bg. zu erstattenden Betrag in beantragter Höhe fest und wies ihn zur Auszahlung an.
Gegen diese Vergütungsfeststellung hat der Bf. am 15.12.2017 Erinnerung eingelegt und beantragt, die Verfahrensgebühr auf 100,00 Euro festzusetzen. Einzig messbare Tätigkeit des Rechtsanwalts im Klageverfahren sei die Klagerücknahme und die Einsicht in die Verwaltungsakte gewesen. Synergieeffekte aus anderen Klageverfahren, in denen der Bg. den Kläger ebenfalls vertreten habe, seien zu berücksichtigen, sodass die doppelte Mindestgebühr angemessen sei. Die Erinnerung sei auch rechtzeitig erhoben worden, insbesondere nicht verwirkt. Um von einer Verwirkung des Erinnerungsrechts auszugehen, müsse zu einem Zeitmoment noch ein Umstandsmoment hinzutreten. Allein der Zeitablauf von rund 13 Monaten seit Festsetzung könne kein Umstandsmoment darstellen oder ersetzen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.09.2017, L 5 AS 585/15 B). Auch das OLG Celle (Az.: 1 Ws 245/16) und das OLG Düsseldorf (Az.: I - 10 W 35 - 37/17) stünden auf dem Standpunkt, dass alleine der genannte Zeitablauf das Umstandsmoment nicht darstelle oder ersetze.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 02.07.2018 die Erinnerung als unzulässig verworfen. Das Erinnerungsrecht der Staatskasse sei verwirkt. Bei Einlegung der Erinnerung am 15.12.2017 sei bereits mehr als ein Jahr seit formloser Festsetzung der streitgegenständlichen Gebühren am 25.10.2016 vergangen. Nach der Rechtsprechung des BayLSG sei das Erinnerungsrecht der Staatskasse spätestens nach einem Jahr nach dem Wirksamwerden der Kostenfestsetzungsentscheidung verwirkt, sofern nicht besonders missbilligenswerte Umstände in der Sphäre des Anwalts vorlägen (BayLSG, Beschluss vom 4.10.2012, Az. L 15 SF 131/11 B E, Rn. 22; Beschluss vom 29.11.2016, L 15 SF 97/16 E, Rn. 28). Das Gericht schließe sich den überzeugenden Ausführungen des BayLSG insbesondere zum verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzprinzip, auf das sich vorliegend der Bg. berufen könne, an. Besonders missbilligenswerte Umstände aus der Sphäre des Bg. seien nicht ersichtlich und von der Staatskasse auch nicht geltend gemacht.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Staatskasse. Zur Begründung wurde auf den bisherigen Vortrag verwiesen.
Der Bg. hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie des Erinnerungsverfahrens (S 28 SF 602/17 E) und des Klageverfahrens (Az.: S 32 AS 96/15) verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist erfolglos.
1. Zuständig für die Ent...