§§ 103 ff. ZPO; Nrn. 3104, 3105 VV RVG
Leitsatz
Wird eine Gebühr irrtümlich mit einem zu niedrigen Gebührensatz zur Festsetzung angemeldet und antragsgemäß festgesetzt, so kann nachträglich der Differenzbetrag zu der nach dem zutreffenden Gebührensatz berechneten Gebühr im Wege der Nachfestsetzung noch angemeldet und festgesetzt werden.
BPatG, Beschl. v. 7.9.2022 – 6 NI 42/16 (EP), 6 NI 43/16 (EP), 6 NI 44/16 (EP), KoF 44/22
I. Sachverhalt
In einem Patentstreitverfahren vor dem BGH waren der Beklagten die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt worden. Die Klägerin meldete daraufhin ihre Kosten an, darunter eine 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3202 VV, die auch antragsgemäß festgesetzt wurde. Später bemerkte die Klägerin, dass eine 1,5-Terminsgebühr nach Vorbem. 3.2.2 Nr. 2 i.V.m. Nr. 3210 VV angefallen war und beantragte i.H.d. Differenz der festgesetzten 1,2-Terminsgebühr zu der tatsächlich angefallenen 1,5-Terminsgebühr eine Nachfestsetzung, die auch antragsgemäß erfolgte. Dagegen richtet sich die Erinnerung der Beklagten. Sie wendet ein, der Nachfestsetzung stehe die Rechtskraft des ursprünglichen Kostenfestsetzungsbeschlusses entgegen. Die Erinnerung hatte keinen Erfolg.
II. Keine entgegenstehende Rechtskraft des vorausgegangenen Kostenfestsetzungsbeschlusses
Entgegen der von der Erinnerungsführerin geäußerten Rechtsauffassung steht der beantragten Nachfestsetzung nicht die Rechtskraft des vorherigen Kostenfestsetzungsbeschlusses entgegen. Zwar geht die Erinnerungsführerin zutreffend davon aus, dass Kostenfestsetzungsbeschlüsse formell und materiell in Rechtskraft erwachsen (vgl. BGH NJW 2003, 1462 = AGS 2003, 176). Über den hier im Nachfestsetzungsverfahren beantragten Teil der Terminsgebühr wurde, wie die Rechtspflegerin im angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, jedoch im vorangegangenen Kostenfestsetzungsbeschluss nicht entschieden.
Die Rechtskraft eines Kostenfestsetzungsbeschlusses bezieht sich nur auf die im Antrag geforderten und im Beschluss beschiedenen Beträge (vgl. BGHZ 187, 227 = AGS 2010, 580). Eine Nachforderung eines bislang nicht geltend gemachten Teils bezüglich desselben Postens hindert sie grds. nicht. Zur Begründung verweist der BGH auf das allgemeine Verständnis der Rechtskraftwirkung bei offenen und verdeckten Teilklagen, wonach die Rechtskraft des Urteils nur den geltend gemachten Anspruch im beantragten Umfang ergreift; eine Erklärung des Klägers, er behalte sich darüber hinausgehende Ansprüche vor, ist nicht erforderlich. Soweit ein Antrag nur beschränkt geltend gemacht worden ist, ist grds. über den überschießenden Teil nicht entschieden.
Eine Entscheidung über die Frage, ob der Erinnerungsführerin eine höhere als die beantragte Terminsgebühr zusteht, hat die Rechtspflegerin im vorangegangenen Kostenfestsetzungsbeschluss gerade nicht getroffen.
Eine Nachfestsetzung eines Teils der Terminsgebühr, über die im Kostenfestsetzungsverfahren nicht entschieden worden ist, weil zunächst eine 1,2- anstelle einer 1,5-Terminsgebühr beantragt worden ist, ist danach möglich, weil die Rechtspflegerin über eine höhere Terminsgebühr als die bislang festgesetzte 1,2-Terminsgebühr bislang nicht entschieden hat.
Der Argumentation der Erinnerungsführerin, eine 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3202 VV sei nicht Teil einer 1,5-Terminsgebühr gem. Nr. 3210 VV, beide Normen hätten unterschiedliche Voraussetzungen und schlössen sich gegenseitig aus, steht einer Nachfestsetzung nicht entgegen. Nr. 3210 VV entspricht inhaltlich Nr. 3202 VV. Beide Gebührentatbestände betreffen jeweils einen Satz einer bestimmten Wertgebühr nach § 13 RVG in Form einer Terminsgebühr. Eine bereits geltend gemachte 1,2-Terminsgebühr lässt sich daher stets um die Differenz zur höheren 1,5-Terminsgebühr desselben Gegenstandswerts ergänzen.
Auf die von ihr zitierte Entscheidung des BGH (AGS 2011, 566) vermag sich die Erinnerungsführerin in diesem Verfahren ebenfalls nicht mit Erfolg zu berufen. Im Unterschied zum hiesigen Sachverhalt hatte die Schuldnerin im dortigen Verfahren mit ihrem ersten Kostenfestsetzungsantrag erkennbar ihren gesamten Anspruch auf Erstattung der Verfahrensgebühr geltend gemacht und auf der Grundlage des von ihr für richtig gehaltenen Gegenstandswerts die volle Verfahrensgebühr zur Festsetzung beantragt. Auf diese Weise hatte sie dort – im Unterschied zur hiesigen Erinnerungsgegnerin – zu erkennen gegeben, dass sie ihren ganzen Anspruch und nicht nur einen Teil davon festgesetzt haben wollte.
III. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung ist zutreffend. Es verwundert schon, dass bei einer solch eindeutigen Rechtslage noch Erinnerung eingelegt wird. Darauf hinzuweisen ist allerdings, dass sich der Gebührentatbestand nicht aus Nr. 3202 VV oder Nr. 3210 VV ergibt, sondern aus Vorbem. 3 Abs. 3 VV. Diese Vorschrift regelt unter welchen Bedingungen eine Terminsgebühr anfällt. Das war hier die Variante der Vorbem. 3 Abs. 3 S. 1 VV, nämlich die Wahrnehmung eines gerichtlichen Termins. Die Nrn. 3202 und 3210 VV (ebenso auch Nr. 3104 VV) regeln nur, wie hoch der Gebührensatz ausfällt. Soweit irrtümlich ein geringerer Gebührensatz angemeldet wird, kann selb...