ZPO §§ 91, 511, 516 Abs. 3 RVG VV Nr. 3201 BRAO §§ 43, 49b
Leitsatz
- Der Berufungsbeklagte kann regelmäßig nicht selbst abschätzen, was zu seiner Rechtsverteidigung erforderlich ist. Ihm ist deshalb nicht zuzumuten, einen Anwalt erst dann zu beauftragen, wenn der Berufungsführer sich entschließt, die ohne entsprechende Mitteilung nur zur Fristwahrung eingelegte Berufung auch durchzuführen.
- Die Verfahrensgebühr nach Nrn. 3200, 3201 VV entsteht bereits für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information der Partei. Eine nach außen erkennbare Tätigkeit des beauftragten Rechtsanwalts ist nicht erforderlich.
OLG Koblenz, Beschl. v. 4.4.2012 – 14 W 171/12
1 Sachverhalt
Der Kläger hatte gegen das Urteil des LG Berufung eingelegt und für die Verfahrensanträge und deren Begründung auf einen gesonderten Schriftsatz verwiesen. Einen Hinweis, dass die Berufung lediglich zur Fristwahrung eingelegt worden sei, enthielt der Schriftsatz nicht. Später beantragte der Kläger die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist und kündigte innerhalb der verlängerten Frist die Vorlage der Berufungsbegründung an. Noch innerhalb der Begründungsfrist nahm er die Berufung zurück. Ein Bevollmächtigter für die Beklagten hatte sich zu diesem Zeitpunkt zu den Gerichtsakten noch nicht bestellt.
Hiernach beantragten die Beklagten, gegen den Kläger eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV nebst einer 0,3-Erhöhung festzusetzen. Dem ist der Kläger mit dem Argument entgegengetreten, dass die Gebühr nicht angefallen sei, da sich der Bevollmächtigte der Beklagten im Berufungsverfahren nicht bestellt habe. Die Beklagten machen geltend, dass mit der Zustellung der Berufung bereits der Auftrag zur Vertretung im Berufungsverfahren erteilt worden sei. Lediglich auf Wunsch des Klägervertreters habe er sich weder bestellt noch einen Antrag gestellt.
Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das LG die Kosten antragsgemäß fest. Die Tätigkeit des Bevollmächtigten im Berufungsverfahren ergebe sich bereits daraus, dass ihm sämtliche Schriftsätze im Berufungsverfahren zugestellt wurden.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner sofortigen Beschwerde. Da zugesagt worden sei, den gegnerischen Bevollmächtigten rechtzeitig zu informieren, wenn das Berufungsverfahren durchgeführt werden solle, habe keine Notwendigkeit bestanden, ihn schon für das Berufungsverfahren zu beauftragen.
Die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV ist entstanden und nach § 91 Abs. 1 ZPO auch erstattungsfähig, denn es handelt sich um notwendige Kosten der Rechtsverfolgung.
Nach Einlegung der Berufung durch den Prozessgegner kann eine Partei regelmäßig nicht selbst beurteilen, was zu ihrer Rechtsverteidigung erforderlich und sachgerecht zu veranlassen ist. Ihr kann nicht zugemutet werden, zunächst die Entscheidung des anwaltlich vertretenen Berufungsführers abzuwarten, ob das Berufungsverfahren tatsächlich durchgeführt wird (BGH NJW 2003, 765 ff.). Ob etwas anderes gilt, wenn der Bevollmächtigte des Berufungsführers die Berufungsgegner unmittelbar und vor Beauftragung des Bevollmächtigten durch diese darüber informiert hat, dass die Berufung lediglich zur Fristwahrung eingelegt wurde, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, weil ein solcher Sachverhalt nicht behauptet wird. Eines nach außen erkennbaren Tätigwerdens des beauftragten Rechtsanwalts bedarf es nicht; die Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 VV entsteht vielmehr bereits für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information der Partei.
Der Senat hat bereits entschieden (v. 6.8.2007 – 14 W 578/07 [= AGS 2008, 435]), dass die streitige Gebühr grundsätzlich bereits dadurch entsteht, dass der Bevollmächtigte, wie dies unwidersprochen und durch den Aktenverlauf dokumentiert geschehen ist, die Berufungsschrift entgegennimmt, die Zulässigkeit des Rechtsmittels prüft und die Beklagten dann davon unterrichtet (vgl. BGH v. 6.4.2005 – V ZB 25/04, MDR 2005, 1016 = BGHR 2005, 1150 = NJW 2005, 2233 [= AGS 2005, 413]; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., Nr. 3200 VV Rn 21).
Allerdings bedurfte es zusätzlich eines entsprechenden Prozessauftrags, dessen Erteilung der Kläger vorliegend aber nicht in Abrede stellt. Ein derartiger Auftrag erschließt sich ungeachtet dessen aus den Umständen. Er wird vermutet, wenn der Bevollmächtigte bereits erstinstanzlich mit der Prozessvertretung der Beklagten beauftragt war (vgl. BGH v. 6.4.2005 – V ZB 25/04, MDR 2005, 1016 = BGHR 2005, 1150 = NJW 2005, 2233 [2234] [= AGS 2005, 413]) und das Berufungsverfahren eine erneute anwaltliche Vertretung gebot.
Der Kläger vermag deshalb mit seinen Argumenten gegen die erfolgte Kostenfestsetzung nicht durchzudringen. Gegen die Höhe der Gebühren sind Einwendungen nicht erhoben und auch sonst keine Bedenken ersichtlich.