ZPO §§ 91 Abs. 1 S. 1, 522 Abs. 2; RVG VV Nrn. 3200, 3201

Leitsatz

Nach Begründung des Rechtsmittels hat der Berufungsbeklagte ein berechtigtes Interesse daran, mit anwaltlicher Hilfe in der Sache frühzeitig zu erwidern. Das gilt auch, wenn das Berufungsgericht darauf hingewiesen hat, dass es beabsichtigt, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, und der Berufungskläger hiergegen Einwände erhoben hat. Ein in dieser Prozesslage gestellter begründeter Antrag auf Zurückweisung der Berufung löst daher grundsätzlich die 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV aus (im Anschluss an BAG, Beschl. v. 18.4.2012 – 3 AZB 22/11 [= AGS 2013, 9]; Abgrenzung zu BGH, Beschl. v. 25.2.2016 – III ZB 66/15, BGHZ 209, 120 [= AGS 2016, 252]).

BGH, Beschl. v. 8.11.2017 – VII ZB 81/16 

1 Sachverhalt

Der Kläger hatte gegen ein landgerichtliches Urteil Berufung eingelegt. Mit Beschl. v. 18.2.2016 hat das Berufungsgericht angekündigt, dass beabsichtigt sei, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, und dem Kläger hierzu zuletzt eine Frist zur Stellungnahme bis zum 15.4.2016 eingeräumt. Der Kläger hat innerhalb der Frist mit Schriftsatz vom 15.4.2016 zum Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts Stellung genommen. Nachdem das Berufungsgericht diesen Schriftsatz am 18.4.2016 an den Beklagten hinausgegeben hatte, hat es mit Beschl. v. 19.4.2016 die Berufung des Klägers gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Dieser Beschluss ist dem Beklagten zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am 25.4.2016 zugestellt worden. Zuvor hatte der Beklagte auf den ihm am 19.4.2016 zugegangenen Schriftsatz des Klägers mit Schriftsatz vom 21.4.2016, eingegangen beim Berufungsgericht am 22.4.2016, beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen, und dies näher begründet.

Auf Antrag des Beklagten hat das LG die vom Kläger zu erstattenden Kosten für die Berufungsinstanz i.H.v. 586,40 EUR (netto) festgesetzt, die sich aus einer 1,6-Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 VV i.H.v. 566,40 EUR und einer Pauschale i.H.v. 20,00 EUR gem. Nr. 7002 VV zusammensetzen. Die vom Kläger gegen diesen Beschluss erhobene sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen.

Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich der Kläger weiterhin gegen die zugunsten des Beklagten festgesetzte Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 VV.

2 Aus den Gründen

Die gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2, § 575 ZPO statthafte und auch i.Ü. zulässige Rechtsbeschwerde ist in der Sache nicht begründet.

1. Das Beschwerdegericht führt aus, der Schriftsatz des Beklagten, mit dem die Zurückweisung der Berufung beantragt worden sei, lasse eine 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV in der Rechtsmittelinstanz entstehen. Habe das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch einen einstimmigen Beschluss zurückzuweisen und habe der Vertreter des Berufungsbeklagten danach einen mit Gründen versehenen Zurückweisungsantrag gestellt, so falle eine 1,6-Verfahrensgebühr an, die auch zu erstatten sei. Denn der Mandant habe ein Interesse daran, die Beschlussfassung gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch eigene zusätzliche Argumente zu fördern.

Der Sachantrag und der Sachvortrag des Beklagten seien zwar nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses erfolgt. Allerdings habe der Beklagte bei Einreichung seines Schriftsatzes noch keine Kenntnis von dem am 19.4.2016 ergangenen Beschluss haben können, da ihm dieser erst am 25.4.2016 zugestellt worden sei. Unter Beachtung der Rspr. des BAG (Beschl. v. 18.4.2012 – 3 AZB 22/11) sei die Erstattungsfähigkeit der 1,6 Verfahrensgebühr zu bejahen.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

Das Beschwerdegericht hat zu Recht entschieden, dass der Beklagte für das Berufungsverfahren eine 1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO von dem Kläger erstattet verlangen kann. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV entsteht auch dann in voller Höhe des 1,6-fachen der Gebühr nach § 13 RVG, wenn der Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten die Berufungserwiderung erst zu einem Zeitpunkt gefertigt und beim Berufungsgericht eingereicht hat, als dieses bereits den Beschluss gefasst hatte, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, dieser Beschluss jedoch dem Prozessbevollmächtigten des Berufungsbeklagten erst zuging, als sein Schriftsatz bereits beim Berufungsgericht eingegangen war (vgl. BAG, Beschl. v. 18.4.2012 – 3 AZB 22/11, juris Rn 9 [= AGS 2013, 9]).

a) Nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Maßstab dafür ist nach der Rspr. des Bundesgerichtshofs, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Vornahme als sachdienlich ansehen durfte (vgl. BGH, Beschl. v. 26.1.2006 – III ZB 63/05, BGHZ 166, 117 Rn 20 [= AGS 2006, 516]; Beschl. v. 4.4.2006 – VI ZB 66/04, VersR 2006, 1089 Rn ...

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