RVG § 15 Abs. 5 S. 2 (BRAGO § 13 Abs. 5 S. 2); RVG VV Nr. 1002
Leitsatz
- Bei einer Unterbrechung, einem Ruhen oder einem bloßen Nichtbetreiben eines gerichtlichen Verfahrens auch nach Ablauf von zwei Kalenderjahren kann allein eine „weitere Tätigkeit“ des Rechtsanwalts nicht schon zu einer „neuen Angelegenheit“ i.S.d. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG (bzw. früher § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO) führen, wodurch eine zusätzliche Verfahrensgebühr entsteht.
- Eine neue Angelegenheit i.S.d. § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO liegt nicht schon dann vor, wenn die Vergütung des Rechtsanwalts für den bisherigen Auftrag gem. § 16 BRAGO fällig geworden ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Begriff Erledigung in § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO eine andere Bedeutung hat als in § 16 S. 2 BRAGO, gibt es nicht.
- Das Entstehen einer Erledigungsgebühr setzt eine besondere Leistung des Anwalts voraus. Der Rechtsanwalt muss über die bloße Erfüllung des Verfahrensauftrags hinaus zusätzlich Besonderes gerade mit dem Ziel der Erledigung der Rechtssache ohne streitige Entscheidung des Gerichts geleistet haben, ohne dass es zu der Erledigung in dieser Sache nicht gekommen wäre. Für die Erledigungsgebühr allein reicht die Einlegung des Rechtsbehelfs und dessen Begründung regelmäßig nicht für die Bejahung des Tatbestands „durch anwaltliche Mitwirkung“ aus.
- Die Aufgabe, eine Klageschrift und deren Begründung überzeugend zu formulieren und auf entsprechende Einwände der Gegenseite zu replizieren, ist Teil des allgemeinen anwaltlichen Auftrages, welcher bereits mit der Verfahrensgebühr abgegolten ist.
FG Baden-Württemberg, Beschl. v. 23.8.2010–13 KO 1170/10
Sachverhalt
Die Erinnerungsführerin war Klägerin im Verfahren wegen Kindergeld. Die Klageschrift vom 25.6.2004 ging am 28.6.2004 beim FG ein. Mit Verfügung vom 23.7.2008 verwies das Gericht darauf, dass die Klage in der Sache Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Die Erinnerungsgegnerin, die Beklagte im Verfahren 13 K 203/04, entsprach dem Klagebegehren daraufhin mit geänderten Bescheid vom 7.8.2008. Anschließend erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Mit Beschl. v. 1.9.2008 wurden die Kosten des Verfahrens der Erinnerungsgegnerin auferlegt.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 30.12.2009 machte die Erinnerungsführerin, für das Verfahren vor dem FG in Bezug auf den „Tätigkeitszeitraum Juni 2004/November 2004“ eine Prozessgebühr gem. § 31 Abs. 1 S. 1 der bis zum 30.6.2004 gültigen BRAGO in Höhe von 18,75 EUR, Auslagen gem. § 26 BRAGO in Höhe von 3,75 EUR sowie Schreibauslagen gem. § 27 BRAGO in Höhe von 11,50 EUR und in Bezug auf den „Tätigkeitszeitraum Juli 2008/November 2008“ eine 1,6-fache Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 VV in Höhe von 40,00 EUR, eine 1,5-fache Erledigungsgebühr gem. Nr. 1002 VV in Höhe von 37,50 EUR sowie Auslagen nach Nr. 7002 VV in Höhe von 15,55 EUR und die Umsatzsteuer aus alledem geltend. Die Erinnerungsgegnerin trat dem entgegen. Gebühren in derselben Angelegenheit könnten nur einmal gefordert werden (§ 13 Abs. 2 BRAGO). Eine Erledigungsgebühr sei nicht angefallen.
Durch Kostenfestsetzungsbeschluss stellte die Urkundsbeamtin einen an die Erinnerungsführerin zu erstattenden Kostenbetrag in Höhe von 34,21 EUR fest. Dieser Betrag setzt sich aus einer Prozessgebühr in Höhe von 25,00 EUR, einer Pauschale für Post- und Kommunikationsleistungen in Höhe von 3,75 EUR und einer erstattungsfähigen Umsatzsteuer in Höhe von 5,46 EUR zusammen. Die beantragte Verfahrensgebühr sah die Urkundsbeamtin neben der Prozessgebühr nicht als erstattungsfähig an, da innerhalb einer Angelegenheit die Gebühren nur einmal anfielen. Eine Erledigungsgebühr sei nicht zu erstatten. Der Prozessbevollmächtigte der Erinnerungsführerin habe keine über die normale Prozessführung hinausgehende auf eine außergerichtliche Erledigung zielende Tätigkeit entfaltet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Erläuterungen zum Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2.3.2010 verwiesen.
Dagegen hat die Klägerin Erinnerung eingelegt. Sie führt aus, dass die Post- und Telekommunikationsleistung gem. § 26 BRAGO mit 5,00 EUR zu berücksichtigen sei. Die Erledigungsgebühr sei angefallen, weil ihr Prozessbevollmächtigter an der Erledigung des Rechtsstreits mitgewirkt habe. In seinem Schriftsatz habe er auf die Entscheidung des BFH v. 16.12.2003 – VIII R 76/99, BFH/NV 2004, 933, hingewiesen. Auf diese Entscheidung habe das FG in seiner Mitteilung vom 24.7.2008 Bezug genommen. Dies habe zum Einlenken der Erinnerungsgegnerin geführt. Daher liege die für den Anfall der Erledigungsgebühr erforderliche Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten vor. Die Nichtberücksichtigung der geltend gemachten Verfahrensgebühr verstoße gegen die ausdrückliche gesetzliche Regelung des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG bzw. des früher geltenden § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO. Danach sei vorgeschrieben, dass dann, wenn nach mehr als zwei Kalenderjahre eine anwaltliche Tätigkeit nicht erfolgt sei, von einer neuen Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG (bzw. früher § 13 Abs. 2 BRAGO) ausgegangen werden müsse. Es komm...