Leitsatz
Betrifft ein Rechtsstreit über Umsatzsteuer zwei Streitjahre und hat der Streitfall i.S.v. § 52 Abs. 3 S. 2 GKG offensichtlich absehbare Auswirkungen für nachfolgende Streitjahre, so ist die in dieser Vorschrift vorgesehene Erhöhung des Streitwerts auf das Dreifache des durchschnittlichen Streitwerts für die anhängigen beiden Streitjahre begrenzt.
BFH, Beschl. v. 17.8.2015 – XI S 1/15
1 Sachverhalt
Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Antragstellerin zu 1) (Klägerin) ist Organträgerin der T-GmbH. Die T-GmbH führte sonstige Leistungen in Gestalt der Ausgabe von Mahlzeiten an ihre Arbeitnehmer aus, die hierfür einen Preis bezahlten, der sowohl unter dem marktüblichen Entgelt als auch unter den Selbstkosten der T-GmbH lag. Die Klägerin versteuerte diese Leistungen in ihren Umsatzsteuererklärungen für die Besteuerungszeiträume 2006 und 2007 (Streitjahre) und die Folgejahre (2008 bis 2011) nur mit den von den Arbeitnehmern der T-GmbH für die Mahlzeiten gezahlten Preisen. Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das Finanzamt) setzte dagegen hierfür gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 UStG die Selbstkosten an.
Die Antragsteller zu 2) vertraten die Klägerin als Prozessbevollmächtigte in dem anschließenden Rechtsstreit vor dem FG wegen Umsatzsteuer 2006 und 2007. Währenddessen ruhten die von der Klägerin eingelegten Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide für 2008 bis 2011, die ebenfalls die umsatzsteuerrechtliche Behandlung der Mahlzeitengewährung betrafen, im Hinblick auf den Ausgang des Rechtsstreits gem. § 363 Abs. 2 S. 1 der AO.
Das FG gab der Klage teilweise statt und setzte als Bemessungsgrundlage für die Ausgabe der Mahlzeiten anstelle der vom Finanzamt zugrunde gelegten Selbstkosten von 109.563,26 EUR (2006) und 212.142,08 EUR (2007) nur das – über den bisher versteuerten Preisen liegende – marktübliche Entgelt i.H.v. 32.091,93 EUR (2006) und 64.432,00 EUR (2007) an. Im Übrigen wies es die Klage ab.
Gegen das Urteil des FG legte (nur) das Finanzamt die vom FG zugelassene Revision ein und beantragte, das Urteil aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Nachdem das Finanzamt die Revision zurückgenommen hatte, stellte der Senat das Revisionsverfahren ein und entschied, das Finanzamt habe die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Mit dem vorliegenden Antrag begehren die Klägerin und die Antragsteller zu 2) für das Revisionsverfahren die Festsetzung eines nach § 52 Abs. 3 S. 2 GKG erhöhten Streitwerts i.H.v. 144.601,14 EUR.
Das Finanzamt ist dem Antrag entgegengetreten und beantragt, den Streitwert – entsprechend seinem Unterliegen vor dem FG – auf 40.460,32 EUR festzusetzen. Eine Erhöhung des Streitwerts komme nicht in Betracht, da die Rücknahme der Revision durch eine Änderung von § 10 Abs. 5 UStG veranlasst worden sei. Aufgrund dieser – auf alle noch nicht bestandskräftigen Steuerfestsetzungen anzuwendenden – Gesetzesänderung habe den Einsprüchen der Klägerin gegen die Umsatzsteuerbescheide ab 2008 entsprochen werden müssen. Diese Gesetzesänderung – und nicht das Revisionsverfahren – sei ursächlich für die Umsatzsteuerminderung der Jahre ab 2008 gewesen.
2 Aus den Gründen
1. Der Antrag auf Streitwertfestsetzung ist zulässig.
Das nach std. Rspr. des BFH hierfür erforderliche besondere Rechtsschutzbedürfnis (vgl. dazu BFH, Beschl. v. 17.11.1987 – VIII R 346/83, BFHE 152, 5, BStBl II 1988, 287, unter II. Rn 19; v. 29.10.2008 – I R 84/07; v. 18.11.2014 – V S 30/14, BFH/NV 2015, 346, Rn 8) liegt im Streitfall vor. Der Anwendungsbereich von § 52 Abs. 3 S. 2 GKG ist noch nicht geklärt (vgl. z.B. Müller, BB 2013, 2519; Just, DStR 2014, 2481).
2. Der Streitwert bestimmt sich im Streitfall nach § 52 Abs. 3 S. 1 und 2 GKG. § 52 Abs. 3 GKG wurde durch Art. 3 Abs. 1 Nr. 18 Buchst. a) des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. KostRMoG, BGBl I 2013, S. 2586) mit Wirkung vom 1.8.2013 wie folgt gefasst:
"Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus S. 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach S. 1 nicht übersteigen darf."
Diese Vorschriften sind im Streitfall anwendbar. Das Finanzamt hat die Revision am 11.9.2013 und damit nach der Änderung von § 52 Abs. 3 GKG zum 1.8.2013 eingelegt (vgl. § 71 Abs. 1 S. 2 GKG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 18 Buchst. a) und Art. 50 2. KostRMoG).
3. Nach § 52 Abs. 3 S. 1 GKG wäre im Streitfall für das Revisionsverfahren ein Streitwert von 40.460,33 EUR festzusetzen.
a) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers im Zeitpunkt der Einlegung der Revision (§ 47 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 40 GKG).
b) Mit der (nur) vom Finanzamt eingelegten Re...