Leitsatz
Ruht das Verfahren und verjährt infolgedessen eine zuvor angefallene Gebühr, so kann, wenn nach Wiederaufruf des Verfahrens eine Tätigkeit entfaltet wird, die wiederum den Gebührentatbestand verwirklicht, die Gebühr erneut entstehen und vom Bevollmächtigten geltend gemacht werden.
VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 11.10.2016 – 11 S 1124/16
1 Sachverhalt
Der Rechtsstreit war im Einverständnis der Parteien zum Ruhen gebracht worden. Mehr als drei Jahre später wurde die Sache wieder aufgerufen und abgeschlossen. Der dem Kläger beigeordnete Prozessbevollmächtigte rechnete daraufhin seine Vergütung mit der Landeskasse ab. Die Landeskasse hat die angemeldete Verfahrensgebühr abgesetzt und dies damit begründet, dass die Verfahrensgebühr bereits verjährt sei und daher nicht mehr verlangt werden könne. Die hiergegen erhobene Erinnerung hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen
Über die Erinnerung entscheidet gem. § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 8 RVG der Vorsitzende als Einzelrichter.
Die statthaft und im Übrigen zulässige Erinnerung hat Erfolg.
Die Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV wurde zu Unrecht abgesetzt. Nach der Vorbem. 3 Abs. 2 VV entsteht die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information des Mandanten. Eine solche Tätigkeit hat der Prozessbevollmächtigte mit dem Wiederanruf des Verfahrens und der sodann weiter entfalteten Prozessführung unstreitig erbracht. Die Tatsache, dass er bis zum Ruhen des Verfahrens eine entsprechende Tätigkeit bereits erbracht hatte und die insoweit angefallene Gebühr nach § 8 Abs. 2 RVG verjährt ist, steht dem nicht entgegen.
§ 15 Abs. 2 RVG verbietet lediglich, dass in derselben Angelegenheit, was hier der Fall ist, die Gebühr mehrfach gefordert werden kann. Die Vorschrift setzt denknotwendig voraus, dass der Gebührentatbestand an sich in derselben Angelegenheit mehrfach verwirklicht werden kann. Deshalb besteht, soweit ersichtlich in der Lit. Einigkeit darüber, dass im Falle einer eingetretenen Verjährung, wenn also der Prozessbevollmächtigte die Gebühr nicht mehr fordern kann, er aber in der Folge wieder Tätigkeiten entfaltet, durch die der Gebührentatbestand wieder verwirklicht wird, die Gebühr erneut gefordert werden kann (vgl. H. Schmidt, AnwBl 1979, 382; Ahlmann, in: Riedel/Sußbauer, RVG, § 8 Rn 30; Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl., § Rn 35 dort versehentlich systematisch unter dem Stichwort "Pflichtverteidiger" eingeordnet; Gierl, in: Mayer/Kroiß, RVG, 2. Aufl., § 8 Rn 2; Enders, in: Hartung u.a., RVG 2. Aufl., § 8 Rn 39; OLG Köln, Beschl. v. 6.5.1992 – 17 U 1/92, JurBüro 1993, 345).
3 Anmerkung
Die Entscheidung ist zutreffend.
Nach § 8 Abs. 2 S. 1 RVG wird der Ablauf der Verjährung für eine Tätigkeit in einem gerichtlichen Verfahren solange gehemmt, als das Verfahren anhängig ist.
Die Hemmung endet erst mit der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des Verfahrens (§ 8 Abs. 2 S. 2 RVG).
Kommt es – wie hier – zum Ruhen des Verfahrens oder dessen Aussetzung, endet die Hemmung drei Monate nach Eintritt der Fälligkeit (§ 8 Abs. 2 S. 3 RVG). Da die Fälligkeit erst eintritt, wenn das Verfahren länger als drei Monate ruht (§ 8 Abs. 1 S. 2 RVG), endet die Hemmung also erst nach über sechs Monaten. Die Hemmung beginnt erneut, wenn das Verfahren weiter betrieben wird (§ 8 Abs. 2 S. 4 RVG).
Norbert Schneider
AGS 12/2016, S. 560 - 561