Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. beigeordneter Rechtsanwalt. Gewährung eines Vorschusses nach § 47 RVG aF. ungeschriebene Voraussetzung. wiederholte Verwirklichung eines Gebührentatbestandes (hier: nach Wiederaufnahme eines ruhenden Verfahrens). Verjährung einer Gebühr. erneute Forderung bei neuen anwaltlichen Tätigkeiten. Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung des Vorschussantrags
Leitsatz (amtlich)
1. Ungeschriebene Voraussetzung für die Gewährung einer Vorschusszahlung nach § 47 RVG aF ist über die Entstehung der Gebühr hinaus auch noch die fehlende Fälligkeit der Gebühr.
2. Ein Gebührentatbestand - wie zB der Tatbestand für die Verfahrensgebühr - kann wiederholt verwirklicht werden.
3. Ein Rechtsanwalt, der aufgrund eingetretener Verjährung die Gebühr nicht mehr fordern kann, in der Folge aber wieder Tätigkeiten entfaltet, durch die der Gebührentatbestand wieder verwirklicht wird, kann die Gebühr erneut fordern.
Orientierungssatz
Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung eines Vorschussantrags ist - weil es sich um einen Leistungsantrag handelt - der Zeitpunkt der Beschlussfassung des Senats. Tatsächliche und rechtliche Änderungen sind deshalb bei der Entscheidung zu berücksichtigen.
Tenor
Der die Erinnerung zurückweisende Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 19. Dezember 2019 und der die Gewährung eines Vorschusses ablehnende Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 4. April 2019 werden abgeändert und der der Beschwerdeführerin für ihre Tätigkeit in dem Verfahren S 57 AS 2409/19aus der Staatskasse zu gewährende Vorschuss auf 185,64 Euro festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Vorschusses auf die Rechtsanwaltsvergütung in einem Prozesskostenhilfeverfahren.
Der Beschwerdeführerin wurde mit Beschluss vom 14. September 2009 im Klageverfahren beim Sozialgericht (SG) Hannover zum dortigen Aktenzeichen S 57 AS 432/08 den dortigen, seinerzeit minderjährigen drei Klägern als Prozessbevollmächtigte beigeordnet. In dem am 11. Februar 2008 zunächst allein für die Mutter der Kläger anhängig gemachten Klageverfahren stritten die dortigen Beteiligten im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) darum, ob das Einkommen des in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners der Mutter der Kläger bei diesen bedarfsmindernd berücksichtigt werden dürfe oder nicht. Nach der Klageerhebung, die noch keine Begründung enthielt, reichte die Beschwerdeführerin am 8. Mai 2008 eine dreieinhalbseitige Klagebegründung nach, in der sie den Sachverhalt darstellte und sich mit der aus ihrer Sicht anzunehmenden Verfassungswidrigkeit der Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II auseinandersetzte. Auf Anfrage des SG vom 16. Oktober 2008, ob die Kinder als Kläger eigene Ansprüche geltend machen wollten, reichte die Beschwerdeführerin am 16. Januar 2009 zunächst lediglich ihre Vollmacht und am 1. Februar 2009 einen weiteren Schriftsatz zur Akte, in dem sie auf die Frage des SG nicht einging. Stattdessen setzte sie sich mit einer zwischenzeitlich in einem anderen Verfahren ergangenen Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) auseinander, das mit Urteil vom 13. November 2008 (Az. B 14 AS 2/08 R) entschieden hatte, dass die Anrechnung des Einkommens des Partners nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II nicht verfassungswidrig sei. Mit gerichtlicher Verfügung vom 10. Februar 2009 teilte das SG mit, dass es eine Rubrumsberichtigung beabsichtige und zwar dergestalt, dass nur die Kinder Kläger seien, nicht aber die Mutter. Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2009 teilte die Beschwerdegegnerin mit, dass hiergegen keine Einwände bestünden. Nachdem gegen die Entscheidung des BSG eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingelegt worden war, empfahl das SG den Beteiligten mit gerichtlicher Verfügung vom 14. September 2009, das Verfahren bis zu einer Entscheidung des BVerfG ruhend zu stellen. Damit erklärten sich sowohl die Beschwerdeführerin für die Kläger als auch der Beklagte einverstanden, weshalb das SG mit Beschluss vom 17. November 2009 gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 251 Zivilprozessordnung (ZPO) das Ruhen des Verfahrens anordnete. Der Beschluss wurde den Beteiligten jeweils am 26. November 2009 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2018 beantragte die Beschwerdeführerin beim SG die Gewährung eines Vorschusses auf die Gebühren und Auslagen für ihre Tätigkeit im Klageverfahren S 57 AS 432/08. Abgerechnet wurden dabei nach dem Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) eine nach Nr. 1008 erhöhte Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG in Höhe von insgesamt 272,00 Euro, die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro und 19% Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 55,48 Euro, insgesamt als...