Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. beigeordneter Rechtsanwalt. verschiedene Angelegenheiten. Vorliegen bei mehreren Rechtsstreitigkeiten. Auslegung anhand der Entstehungsgeschichte von § 17 Nr 1 RVG. Verfahrensgebühr. Gebührenbestimmung. Objektivierung des Zeitaufwands. Einigungsgebühr. Einbeziehung mehrerer Verfahren in einen gerichtlichen Vergleich. keine Berücksichtigung von Synergieeffekten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Aus der Entstehungsgeschichte des § 17 Nr 1 RVG lässt sich ableiten, dass das einzelne gerichtliche Verfahren regelmäßig eine eigene Angelegenheit darstellt und mehrere (parallele) Rechtsstreitigkeiten entsprechend grundsätzlich verschiedene Angelegenheiten sind.

2. Der anhand eines Stundenzettels nachgewiesene Zeitaufwand ist - orientiert am Ablauf eines durchschnittlichen sozialgerichtlichen Klageverfahrens - zu objektivieren. Denn maßgeblich ist der zeitliche Aufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und den er davon objektiv auch auf die Sache verwenden musste.

 

Orientierungssatz

1. Die Einigungsgebühr entsteht in den Fällen, in denen mehrere nicht miteinander verbundene Klageverfahren in einem gemeinsamen gerichtlichen Vergleich erledigt werden, für jedes der Klageverfahren (Festhaltung LSG Celle-Bremen vom 7.4.2016 - L 7/14 AS 35/14 B = AGS 2017, 268).

2. Da durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (juris: KostRMoG 2) der gesonderte Gebührenrahmen bei der Einigungsgebühr abgeschafft wurde und die Gebühr seit dem 1.8.2013 an die Höhe der Verfahrensgebühr gekoppelt ist, hat dies zur Folge, dass für Synergieerwägungen seitdem kein Raum mehr ist.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Erinnerungsführerin werden der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 16. August 2019 und der Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Hannover vom 15. August 2018 abgeändert und die der Erinnerungsführerin aus der Staatskasse zustehende Vergütung für ihre Tätigkeit in dem Verfahren S 74 AS 2379/14 auf 1.020,43 Euro festgesetzt.

Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung in einem Prozesskostenhilfeverfahren (PKH).

Die am 11. November 2013 mandatierte Beschwerdeführerin wurde mit Beschluss vom 27. Februar 2015 im Klageverfahren beim Sozialgericht (SG) Hannover zum dortigen Aktenzeichen S 74 AS 2379/14 der dortigen Klägerin als Prozessbevollmächtigte beigeordnet. In dem Klageverfahren stritten die dortigen Beteiligten um die Übernahme einer Heizkostennachzahlung in Höhe von 376,86 Euro im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Klägerin, die in F. eine nach Auffassung des beklagten Jobcenters unangemessen teure Wohnung bewohnt hatte und deshalb vom Jobcenter lediglich die für angemessen gehaltenen Kosten der Unterkunft (KdU) in Höhe von monatlich 385,00 Euro (300,00 Euro Grundmiete; 85,00 Euro Betriebskosten) bewilligt bekommen hatte, war zum 1. Juli 2011 ohne Zustimmung des beklagten Jobcenters in eine neue Wohnung gezogen, deren monatliche Grundmiete 375,00 Euro zuzüglich 76,00 Euro Heiz- und 64,00 Euro Betriebskostenvorauszahlung betrug. Ab 1. Oktober 2012 erhöhte sich die monatliche Betriebskostenvorauszahlung um 30,00 Euro. Mit Bescheid vom 15. Juni 2012 wurde die Klägerin von dem beklagten Jobcenter darauf hingewiesen, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Heizkosten die angemessenen Heizkosten übersteigen würden. Ab dem 1. Juli 2012 würden nur noch die angemessenen Aufwendungen für Heizung bei der Bedarfsberechnung berücksichtigt. Mit Schreiben vom 5. September 2013 wandte sich die Klägerin an das Jobcenter und reichte ihre Heiz- und Betriebskostenabrechnungen des Jahres 2012/2013 ein. Danach betrug ihr Anteil an den Gesamtheizkosten der Wohnanlage 1.506,30 Euro und ihr Anteil an den Gesamtbetriebskosten der Wohnanlage 812,10 Euro. Sowohl für die Heizkosten als auch für die Betriebskosten wurden Nachzahlungen in Höhe von 426,40 Euro von der Klägerin verlangt. Mit Bescheid vom 29. Oktober 2013 erklärte sich das beklagte Jobcenter bereit, von der Heizkostennachforderung 49,54 Euro zu übernehmen. Mit weiterem Bescheid vom 29. Oktober 2013 lehnte das Jobcenter dagegen die Übernahme der Betriebskostennachzahlung ganz ab. Am 11. November 2013 wandte sich die Klägerin an die Beschwerdeführerin und beauftragte diese ausweislich der beiden Vollmachtsurkunden vom gleichen Tage damit, sie mit Blick auf die beiden Bescheide vom 29. Oktober 2013 sowohl gegenüber dem beklagten Jobcenter als auch gerichtlich zu vertreten. Die Beschwerdeführerin legte daraufhin mit zwei Schriftsätzen vom 2. Dezember 2013, bei dem beklagten Jobcenter angeblich jeweils erst am 4. Dezember 2013 eingegangen, Widersprüche gegen beide Bescheide vom 29. Oktober 2013 ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2014, der Beschwerdeführerin zugestellt...

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