Einführung
Drei Richter am LSG Niedersachen-Bremen wollen offensichtlich die gesamte Rspr. und Kommentierung zu § 14 RVG ändern; Chapeau!
I. Die Auffassung des LSG
Das LSG vertritt die Auffassung, dass Wartezeiten bei Gericht auf die Höhe der Rahmengebühren generell keinen Einfluss hätten und der Faktor "Zeit" keine gesonderte Berücksichtigung im Rahmen der auf Verfahrenspauschgebühren beruhenden Vergütungsstruktur des RVG fände.
Dies ist bei Rahmengebühren, die nach § 14 Abs. 1 RVG zu bewerten sind, unrichtig. Und um Rahmengebühren geht es vorliegend.
Bis zum 31.7.2013 betrug die Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV 40,00 bis 460,00 EUR, die Terminsgebühr Nr. 3106 VV belief sich auf 20,00 bis 380,00 EUR. Die jeweiligen Mittelgebühren belaufen sich also auf 250,00 EUR bzw. 200,00 EUR.
II. Die Berücksichtigung der Zeit in § 14 Abs. 1 RVG
Bei der Berechnung der angemessenen Rahmengebühr sind die Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG zu berücksichtigen. An allererster Stelle steht der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit; der Gesetzgeber hat mit der Reihenfolge der beispielhaft zu berücksichtigenden Kriterien die anwaltliche Tätigkeit in den Vordergrund gerückt und erst nachfolgend die persönlichen Umstände des Mandanten genannt.
Nach einhelliger Ansicht ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit am Zeitaufwand zu erkennen, häufig genug dokumentiert durch den Umfang der Handakte. Sämtliche RVG-Kommentare heben beim "Umfang" auf den Zeitaufwand ab. Ob die von Otto vertretene Auffassung einer durchschnittlich dreistündigen Mandatsbearbeitung jedem Vergütungstatbestand gerecht wird, ist zweifelhaft.
Festzuhalten ist jedenfalls, dass entgegen der Auffassung des LSG die Zeit bei der Bemessung einer Rahmengebühr große Bedeutung hat. Im konkreten Fall wird man aber dem LSG zustimmen können, dass eine Wartezeit von 37 Minuten bei einer tatsächlichen Verhandlungsdauer von 44 Minuten auf das Merkmal "Umfang der anwaltlichen Tätigkeit" keinen sonderlichen Einfluss hat.
Dass die Unsitte mancher Gerichte, zu knapp zu terminieren und damit Wartezeiten für die Mandanten und Prozessbevollmächtigten zu produzieren, vom LSG als typische Begleiterscheinungen des Berufsbildes des Rechtsanwaltes und damit als normal abgetan werden, ist dreist und wirft ein Licht auf die Wertung anwaltlicher Tätigkeit durch den Senat.
III. Problematischer Verweis auf Nr. 7005 VV
Unrichtig ist die Auffassung des LSG, der Faktor "Zeit" sei lediglich bei Nr. 7005 VV zu berücksichtigen, dort hätte der Gesetzgeber es ja auch expressis verbis getan. Das LSG übersieht, dass diese Vergütung nur bei dem Anwalt anfällt, der für einen Gerichtstermin eine Geschäftsreise antreten muss; das Gericht darf sich also weder am Ort seiner Kanzlei noch an seinem Wohnort befinden. Der Gesetzgeber betrachtet Nr. 7005 VV auch nicht als Vergütungsregel, sondern als Auslagenregelung, wie sich aus der Überschrift zu Teil 7 VV ergibt.
Vorliegend wurde keine Auslagenerstattung gem. Nr. 7005 VV geltend gemacht, offensichtlich auch keine Reisekostenerstattung nach Nrn. 7003, 7004 VV. Der Anwalt hatte offensichtlich seinen Sitz am Gerichtssitz. Ihm dann nachträgliche Geltendmachung von Abwesenheitsgeld Nr. 7005 VV vorzuschlagen, belegt auch hier die geringen Kenntnisse des Gerichts im anwaltlichen Vergütungsrecht, möglicherweise auch im Strafrecht.
IV. Der Ermessenspielraum des § 14 Abs. 1 RVG
Dies setzt sich fort bei der Bewertung der Verfahrensgebühr: Geltend gemacht waren 300,00 EUR, die Mittelgebühr betrug 250,00 EUR, s.o. Kaum setzt sich das LSG mit dem in der Rspr. u. Lit. dem Anwalt zugesprochenen Ermessensspielraum auseinander, der nach allgemeiner Auffassung 20 % beträgt, teilweise sogar mit 30 % angesetzt wird. "Hält sich der Anwalt innerhalb dieser Grenze, ist die von ihm festgelegte Gebühr jedenfalls nicht i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG unbillig und daher von dem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen." Die Erhöhung ist laut BGH sogar einer gerichtlichen Überprüfung entzogen.
Dies alles übersieht das LSG und verweist lediglich auf eine Uraltentscheidung des BSG zur BRAGO aus dem Jahre 1992 und eigene Entscheidungen aus den letzten Jahren, ohne sich im Geringsten mit der Rspr. zum RVG auseinanderzusetzen. Der Ermessensspielraum wird dem Rechtsanwalt gerade deshalb zugestanden, weil nur er genau das von ihm bearbeitete Mandat kennt. Die Argumentation des Senats, der Ermessensspielraum sei nur dann anzuwenden, wenn mit der vorrangigen Mittelgebühr-Methode kein fester Betrag ermittelt werden könne, andernfalls führe der Toleranzrahmen de facto in jedem Durchschnittsfall zur grundsätzlichen Erh...