GVG §§ 198 ff.; RVG § 55
Leitsatz
- Ist ein Ausgangsverfahren abgeschlossen, ist die Fristenregelung des § 198 Abs. 5 S. 1 GVG teleologisch dahin einzuschränken, dass dann, wenn das als verspätet gerügte Verfahren schon vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist abgeschlossen wurde, bereits vom Moment des Verfahrensabschlusses an eine Entschädigungsklage zulässig ist.
- Die Vorschriften der §§ 198 ff. GVG sind auch auf das Vergütungsfestsetzungsverfahren anzuwenden.
- Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die Gesamtverfahrensdauer, wie sie § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definiert. Maßgeblich ist, ob am Ende des Verfahrens die Angemessenheitsgrenze überschritten worden ist.
- Ein immaterieller Nachteil wird gem. § 198 Abs. 2 S. 1 GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Dabei handelt es sich um eine widerlegbare Vermutung, die dem Betroffenen die Geltendmachung eines immateriellen Nachteils erleichtern soll, weil in diesem Bereich ein Beweis oft nur schwierig oder gar nicht zu führen ist.
OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.10.2018 – 16 EK 10/18
1 Sachverhalt
Der Kläger macht einen Entschädigungsanspruch wegen verzögerter Bearbeitung eines Antrages auf Pflichtverteidigervergütung in den Verfahren AG Karlsruhe 1 Ls 130 Js 22015/12 und Staatsanwaltschaft Karlsruhe 130 Js 16318/13 im Zeitraum ab 17.5.2016 bis März 2017 geltend.
Der Kläger wurde im Verfahren 1 Ls 130 Js 22015/12 durch Beschl. v. 5.9.2014 zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt. Die Verfahren 230 Js 6585/13 (polizeiliche Vorgangsnummer: ST/0343219/2013) u. 230 Js 11582/13 (polizeiliche Vorgangsnummer: ST/0223971/2013) waren jeweils am 14.5.2013 (AS 1219, 1323 AV) seitens der Staatsanwaltschaft hinzuverbunden worden.
Ein weiteres unter dem 130 Js 16318/13 (polizeiliche Vorgangsnummer: ST/0706408/2013) gegen den Mandanten des Klägers geführtes Verfahren wurde mit Verfügung v. 29.5.2013 durch die Staatsanwaltschaft gem. § 154 Abs. 1 StPO eingestellt.
Durch Urteil des AG v. 23.4.2015 (Az. 1 Ls 130/22015/12) wurde der von ihm vertretene Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt (AS 2073 AV).
Mit Schriftsatz v. 21.12.2015, beim AG eingegangen am 4.1.2016, beantragte der Kläger unter dem 1 Ls 130 Js 22015/12 die Festsetzung seiner Verteidigervergütung auf einen Betrag i.H.v. insgesamt 2.144,74 EUR. Dabei machte er zum einen Gebühren für das Verfahren 130 Js 16318/13 und zum anderen für das Verfahren 1 Ls 130 Js 22015/12 geltend. Auf die Aktenanforderung durch das AG bei der Staatsanwaltschaft gingen die Akten am 14.1.2016 beim AG ein.
Mit Verfügung v. 14.1.2016 forderte das AG den Kläger auf, die Erklärung abzugeben, dass er weder Vorschüsse noch Zahlungen erhalten habe. In Bezug auf das Verfahren 130 Js 16318/13 bat das Gericht um Überprüfung der geltend gemachten Gebühren und wies darauf hin, dass weder eine Verbindung noch eine Bestellung des Klägers aus der Akte ersichtlich sei.
Einer Aktenrückforderung der Staatsanwaltschaft v. 21.1. 2016 kam das AG am gleichen Tag mit der Bitte um Rückgabe nach Erledigung nach. Die Akten wurden von der Staatsanwaltschaft an das LG Karlsruhe weitergegeben und gelangten am 28.1.2016 zurück zur Staatsanwaltschaft.
Am 1.2.2016 ging beim AG die Antwort des Klägers v. 23.1.2016 auf die Verfügung v. 14.1.2016 ein, mit der er eine Erklärung gem. § 55 Abs. 5 S. 2 RVG abgab und in Bezug auf das Verfahren 130 Js 16318/13 ein Schreiben an das Polizeipräsidium Karlsruhe v. 2.4.2013 (betreffend die polizeilichen Vorgangsnummern: ST/0223971/2013 und ST/0343219/2013) mit der Bitte um Akteneinsicht, ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft (Az. 130 Js 16318/13) v. 31.5.2013 mit der Mitteilung, das Verfahren sei am 29.5.2013 gem. § 154 Abs. 1 StPO eingestellt worden, sowie ein eigenes an die Staatsanwaltschaft gerichtetes Begleitschreiben v. 17.6. 2013 zur Rückgabe der Akte 130 Js 16318/13 einreichte.
Mit Schreiben v. 22.2.2016, eingegangen beim AG am 24.2.2016, änderte der Kläger seinen Antrag aufgrund einer zunächst übersehenen Auslagenpauschale zum Verfahren 130 Js 16318/13 und bezifferte seinen Gebührenanspruch auf nunmehr insgesamt 2.168,54 EUR.
Auf eine Aktenanforderung seitens des AG v. 25.2.2016 wurde von der Staatsanwaltschaft am 26.2.2016 mitgeteilt, dass die Akten derzeit nicht entbehrlich seien.
Nachdem die Staatsanwaltschaft die Akten dem LG Offenburg für eine Entscheidung nach § 57 StGB über die Aussetzung des Strafrests vorgelegt hatte, kehrten diese am 2.5.2016 wieder zurück. Am 11.5.2016 ging die Akte wieder beim AG ein.
Mit Verfügung v. 12.5.2016 wies das Gericht sodann abermals darauf hin, dass aus der Akte weder eine Verbindung zum Verfahren 130 Js 21015/12 noch eine Bestellung ersichtlich sei, und bat um entsprechende Mitteilung des Datums und ggfs. der Aktenseite der Verbindung. Das Schreiben ging am 17.5.2016 beim Kläger ein.
Unter dem 17.5.2016, eingegangen beim AG am 25.5.2016, erhob der Kläger erstmals Verzögerungsrüge.
Daraufhin teilte die zuständige Rechtspflegerin de...