RVG § 3; RVG VV Nrn. 1000, 1006
Leitsatz
- Soweit keine einheitliche Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG vorliegt, kann in jedem Verfahren, das durch einen gemeinsam protokollierten Vergleich erledigt worden ist, die Gebühr nach Nrn. 1000, 1006 VV anfallen. Voraussetzung ist ein gegenseitiges Nachgeben im jeweiligen Verfahren.
- Die gegenteilige Auffassung, wonach die Einigungsgebühr nur einmal entsteht, wenn mehrere (nicht förmlich verbundene) Rechtsstreite derselben Beteiligten durch einen "Mehrvergleich" erledigt werden, findet in den gebührenrechtlichen Vorschriften keine Stütze.
SG Frankfurt, Beschl. v. 28.9.2020 – S 7 SF 305/18 E
1 Sachverhalt
Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des Rechtsanwaltshonorars nach dem RVG, das der Rechtsanwältin der Klägerin – Erinnerungsführerin – für das Verfahren S 5 AS 1445/14 aus der Staatskasse zusteht.
Das Gericht gewährte der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Erinnerungsführerin für die erste Instanz. Das Verfahren (S 5 AS 1445/14) wurde zusammen mit dem Verfahren S 5 AS 1956/14 in einem 75 min dauernden Erörterungstermin erörtert und endete durch einen für beide Verfahren geschlossen, gerichtlichen Vergleich.
Daraufhin machte die Erinnerungsführerin eine Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV) von 200,00 EUR, eine Terminsgebühr (Nr. 3106 VV) von 280,00 EUR, eine Einigungsgebühr (Nr. 1006 VV) von 200,00 EUR und eine Auslagenpauschale von 20,00 EUR geltend. In Abzug brachte sie 1/2 der Beratungshilfegebühr (42,50 EUR). Insgesamt ergab sich unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer von 19 % ein Gesamtbetrag von 782,42 EUR.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzte abweichend von der Kostennote der Erinnerungsführerin die entstandene Einigungsgebühr auf 100,00 EUR und dementsprechend die Gesamtvergütung auf 663,43 EUR fest. Da das Verfahren S 5 AS 1445/14 in dem Gerichtstermin zusammen mit dem Verfahren S 5 AS 1956/14 erörtert worden sei und beide Verfahren durch einen Vergleich erledigt worden seien, sei die Einigungsgebühr nur einmal entstanden und auf beide Verfahren aufzuteilen (Beschl. d. SG Darmstadt v. 2.3.2017 – S 18 SF 194/15 E).
Die Erinnerungsführerin hat dagegen Erinnerung erhoben, mit der sie eine Einigungsgebühr von 200,00 EUR geltend macht. Sie beruft sich auf eine Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen v. 7.4.2016 – L 7/14 AS 35/14 B [= AGS 2017, 268], wonach eine gesetzliche Grundlage für die Aufteilung der Einigungsgebühr nicht bestehe.
Die Erinnerungsführerin beantragt sinngemäß, unter Abänderung der Vergütungsfestsetzung v. 11.12.2018 die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung für das Verfahren S 5 AS 1445/14 auf 782,42 EUR festzusetzen.
Der Erinnerungsgegner beantragt, die Erinnerung zurückzuweisen.
Der Abschluss eines einheitlichen außergerichtlichen oder gerichtlichen Vergleichs bringe den übereinstimmenden Willen des Gerichts, der Beteiligten und ihrer Bevollmächtigten zum Ausdruck, die Sachen als für die Einigung miteinander verbunden zu behandeln (LSG NRW, Beschl. v. 6.10.2016 – L 19 AS 646/16 B). Als Folge sei die Einigungsgebühr auf beide Verfahren anteilig aufzuteilen. Die von der Erinnerungsführerin zitierte Entscheidung habe sich auf die Rechtslage des RVG in der bis zum 31.7.2013 geltenden Fassung bezogen.
2 Aus den Gründen
Die zulässige Erinnerung ist begründet.
Streitig ist allein die Höhe der Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV. Eine solche ist i.H.v. 200,00 EUR entstanden.
Eine Einigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1006 VV entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Die Gebühr bestimmt sich auch dann einheitlich nach dieser Vorschrift, wenn in die Einigung Ansprüche einbezogen werden, die nicht in diesem Verfahren rechtshängig sind. Maßgebend für die Höhe der Gebühr ist die im Einzelfall bestimmte Verfahrensgebühr in der Angelegenheit, in der die Einigung erfolgt.
Aus der Vorschrift ergibt sich, dass für die Erledigung eines Verfahrens durch Vergleich eine Einigungsgebühr i.H.d. Verfahrensgebühr entsteht. Soweit keine einheitliche Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG vorliegt, kann in jedem Verfahren, das durch einen Vergleich erledigt worden ist, die Gebühr nach Nrn. 1000, 1006 VV anfallen (vgl.: LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.6.2019 – L 10 SF 4412/18 E-B, juris Rn 30 [= AGS 2019, 402]; Thüringer LSG, Beschl. v. 22.1.2019 – L 1 SF 1301/17 B, juris Rn 17 ff. [= AGS 2019, 218]; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 7.4.2016 – L 7/14 AS 35/14 B, juris Rn 24 [= AGS 2017, 268]).
Die gegenteilige Auffassung, wonach die Einigungsgebühr nur einmal entsteht, wenn mehrere (nicht förmlich verbundene) Rechtsstreite derselben Beteiligten durch einen "Mehrvergleich" erledigt werden (LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 21.2.2019 – L 39 SF 50/15 B E, juris Rn 30; LSG NRW, Beschl. v. 6.10.2016 – L 19 AS 646/16 B, juris Rn 80 [= AGS 2017, 17]; OVG NRW, Beschl. v. 1.2.2016 – 8 E 651/15, juris Rn 24 [= AGS 2016, 269]; alle m.w.N.) und Lit. (z.B. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl., 2017, VV 1003, 1004...