§ 14 RVG; Nrn. 4124, 4126 VV RVG
Leitsatz
- Es ist nicht zulässig, bei – wie hier – uneingeschränkter Auslagenüberbürdung auf die Staatskasse die Erstattung – dennoch – mit der Begründung abzulehnen, das erkennende Gericht habe Umstände i.S.d. § 467 Abs. 2 oder Abs. 3 S. 1, 2 StPO oder die in § 464 Abs. 2 bis 4 StPO eingeräumten Entscheidungsmöglichkeiten übersehen oder verkannt (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2.10.1989 – 2 Ws 475/89, NStZ 1990, 204; vgl. auch OLG Saarbrücken, Beschl. v. 18.6.1999 – 1 Ws 65/99 = AGS 2000, 203).
- Zur Bemessung der Verfahrens- bzw. Terminsgebühr für das Berufungsverfahren.
LG Aachen, Beschl. v. 20.9.2021 – 60 Qs 46/21
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt war Verteidiger der Angeklagten in einem Verfahren, in dem der Angeklagten gemeinschaftlicher versuchter Diebstahl vorgeworfen worden ist. Die Angeklagte ist vom AG freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Freispruch der drei Angeklagten Berufung eingelegt.
Das LG hat daraufhin zunächst Berufungshauptverhandlungstermin auf den 28.11.2019 bestimmt. In diesem Hauptverhandlungstermin erschien einer der Mitangeklagten nicht. Die Berufungshauptverhandlung am 28.11.2019 dauerte von 9:00 Uhr bis 9:16 Uhr. Neuer Termin zur Berufungshauptverhandlung wurde dann auf den 29.1.2020 bestimmt, nachdem das Verfahren gegen einen der Mitangeklagten abgetrennt worden war. Im Termin zur Berufungshauptverhandlung am 29.1.2020 erschienen beide verbliebenen Angeklagten trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht. Das LG hat sodann neuen Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 23.11.2020 bestimmt. In der am 23.11.2020 von 13:00 Uhr bis 14:42 Uhr durchgeführten Berufungshauptverhandlung hat die Staatsanwaltschaft nach durchgeführter Beweisaufnahme die Berufung gegen die ehemaligen Angeklagte zurückgenommen. Das LG hat der Staatskasse die Kosten der von der Staatsanwaltschaft gegen die (ehemalige) Angeklagte eingelegten und wieder zurückgenommenen Berufung, sowie insoweit auch die notwendigen Auslagen der (ehemaligen) Angeklagten auferlegt.
Der Verteidiger der Angeklagten hat Auslagenerstattung für den Angeklagten beantragt. Er hat beantragt, für das Berufungsverfahren einen Betrag i.H.v. insgesamt 2.319,85 EUR gegen die Staatskasse festzusetzen. Geltend gemacht worden sind u.a.:
1. |
Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren gem. Nr. 4124 VV |
560,00 EUR |
2. |
Terminsgebühr für den HVT am 28.11.2019 und 29.1.2020 |
640,00 EUR |
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– 2 x 320,00 EUR gem. Nr. 4126 VV |
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3. |
Terminsgebühr für den HVT am 23.11.2020 gem. Nr. 4126 VV |
384,00 EUR |
sowie Terminsauslagen für die Hauptverhandlungstermine, Abwesenheitsgelder und weitere Auslagen.
Nachdem der Vertreter der Staatskasse teilweise ablehnend Stellung genommen hat, hat das AG nach einem längeren Schriftwechsel die Gebühren für das Berufungsverfahren nur teilweise festgesetzt. Zum Teil hat es die Gebühren als unbillig i.S.d. § 14 Abs. 1 RVG angesehen. Für den Hauptverhandlungstermin vom 29.1.2020 hat es die Festsetzung einer Terminsgebühr insgesamt abgelehnt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verteidigers hatte zum Teil Erfolg. Soweit sich die frühere Angeklagte gegen die Reduzierung der Verfahrensgebühr und der Terminsgebühren für die Hauptverhandlungstermine am 28.11.2019 und am 30.11.2020 gewendet hat, ist das Rechtsmittel erfolglos geblieben. Es hatte hingegen Erfolg, soweit das AG die Terminsgebühr für den Hauptverhandlungstermin am 29.1.2020 gänzlich abgesetzt hatte.
II. Verfahrensgebühr nach Nr. 4124 VV
Der Verteidiger hat für die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV die Festsetzung eines Betrages von 560,00 EUR beantragt. Das AG hatte die Mittelgebühr (nach altem Recht) i.H.v. 320,00 EUR festgesetzt.
Das hat das LG nicht beanstandet. Auf der Grundlage der h.M. zu den Maßstäben des § 14 Abs. 1 RVG und zur Unbilligkeit der anwaltlichen Gebührenbestimmung, wenn sie die sog. Toleranzgrenze von 20 % überschreitet, sei die von dem Verteidiger des ehemaligen Angeklagten vorgenommene Erhöhung der Mittelgebühr auf den seinerzeit gültigen Höchstsatz von 560,00 EUR. Angemessen sei die Mittelgebühr von 320,00 EUR. Der Rechtsanwalt erhalte die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV für das Betreiben des Geschäfts im Berufungsverfahren, soweit für die jeweilige Tätigkeit nicht besondere Gebühren vorgesehen seien (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Nr. 4124 VV, Rn 12). Abgegolten seien damit insbesondere schriftliche und mündliche Kontakte des Verteidigers zu seinem Auftraggeber und zum Gericht sowie Tätigkeiten zur Vorbereitung der Hauptverhandlung. Bei der Bemessung der Höhe der Gebühr seien über § 14 Abs. 1 RVG die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die konkrete Höhe der Gebühr sei abhängig von den vom Rechtsanwalt erbrachten Tätigkeiten. Insoweit könne also z.B. von Bedeutung sein, ob und ggfs. wie umfangreich der Rechtsanwalt die Berufung begründet oder wie umfangreich die Berufungsbegründung des Berufungsgegners war, mit der er sich auseinandersetzen musste (Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4124 VV Rn 23). Von Belan...