Ist bereits ein außergerichtliches Verfahren zu derselben Angelegenheit vorausgegangen und entsteht im gerichtlichen Verfahren eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV als auch eine ermäßigte Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV, so stellt sich zunächst die Frage, ob zuerst die Anrechnung der Geschäftsgebühr stattfindet gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV oder die Prüfung nach § 15 Abs. 3 RVG.

 

Beispiel

Nachdem Kläger K vergeblich versuchte, außergerichtlich einen Betrag i.H.v. 19.000,00 EUR geltend zu machen, reicht K Klage beim zuständigen LG ein. Es wird streitig verhandelt. Währenddessen verständigen sich die Parteien auf die Zahlung von 10.000,00 EUR. Zusätzlich wird ein nicht anhängiger Anspruch von 5.000,00 EUR lediglich mitverglichen.

 
Variante 1    
I. Außergerichtliche Vertretung    
1,3-Geschäftsgebühr,   1.001,00 EUR
Nr. 2300 VV    
(Wert: 19.000,00 EUR)    
II. 1. Instanz    
1,3-Verfahrensgebühr,   1.001,00 EUR
Nr. 3100 VV    
(Wert: 19.000,00 EUR)    
0,8-Verfahrensgebühr,   267,20 EUR
Nr. 3101 VV    
(Wert: 5.000,00 EUR)    
angerechnet gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV,    
0,65-Geschäftsgebühr,   – 500,50 EUR
Nr. 2300 VV    
(Wert: 19.000,00 EUR)    
    767,70 EUR
gem. § 15 Abs. 3 RVG 1.136,20 EUR  
nicht mehr als    
1,3 aus 24.000,00 EUR    
keine Reduzierung!    
1,2-Terminsgebühr,   1.048,80 EUR
Nr. 3104 VV    
(Wert: 24.000,00 EUR)    
1,0-Einigungsgebühr, 770,00 EUR  
Nr. 1003 VV    
(Wert: 19.000,00 EUR)    
1,5-Einigungsgebühr, 501,00 EUR  
Nr. 1000 VV    
(Wert: 5.000,00 EUR)    
  1.271,00 EUR  
gem. § 15 Abs. 3 RVG 1.311,00 EUR  
nicht mehr als    
1,5 aus 24.000,00 EUR    
belassen auf   1.271,00 EUR
Gesamt I. + II.   4.088,50 EUR
Variante 2    
I. Außergerichtliche Vertretung    
1,3-Geschäftsgebühr,   1.001,00 EUR
Nr. 2300 VV    
(Wert: 19.000,00 EUR)    
II. 1. Instanz    
1,3-Verfahrensgebühr, 1.001,00 EUR  
Nr. 3100 VV    
(Wert: 19.000,00 EUR)    
0,8-Verfahrensgebühr, 267,20 EUR  
Nr. 3101 VV    
(Wert: 5.000,00 EUR)    
  1.268,20 EUR  
gem. § 15 Abs. 3 RVG 1.136,20 EUR  
nicht mehr als    
1,3 aus 24.000,00 EUR    
reduziert auf   1.136,20 EUR
angerechnet gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV   – 500,50 EUR
0,65-Geschäftsgebühr,    
Nr. 2300 VV    
(Wert: 19.000,00 EUR)    
    635,70 EUR
1,2-Terminsgebühr,   1.048,80 EUR
Nr. 3104 VV    
(Wert: 24.000,00 EUR)    
1,0-Einigungsgebühr, 770,00 EUR  
Nr. 1003 VV    
(Wert: 19.000,00 EUR)    
1,5-Einigungsgebühr, 501,00 EUR  
Nr. 1000 VV    
(Wert: 5.000,00 EUR)    
  1.271,00 EUR  
gem. § 15 Abs. 3 RVG 1.311,00 EUR  
nicht mehr als    
1,5 aus 24.000,00 EUR    
belassen auf   1.271,00 EUR
Gesamt I. + II.   3.956,50 EUR

Wie in der oben stehenden Variante I. aufgezeigt worden ist, fand die Anrechnung der Geschäftsgebühr Anwendung, bevor die Prüfung gem. § 15 Abs. 3 RVG stattgefunden hat. Nach Ansicht der Rspr. ist diese Vorgehensweise auch richtig und für die Rechnungsstellung zu empfehlen.[8]

Auffällig ist zudem die geringere Gebührensumme der Variante II., was auf die Gebührenreduzierung durch die Prüfung nach § 15 Abs. 3 RVG zurückzuführen ist.

Da die richtige Vorgehensweise nach Variante I. jedoch zur Anrechnung vor einer etwaigen Kürzung hinsichtlich der Prüfung nach § 15 Abs. 3 RVG führt, kann festgehalten werden, dass das Gebührenaufkommen nach Variante I. i.d.R. zu einer höheren Anwaltsrechnung führen kann.

Nicht zu vernachlässigen, gilt bei der Anrechnung der Geschäftsgebühr zu beachten, dass der Gegenstandswert maßgebend ist, der in das gerichtliche Verfahren übergegangen ist. Liegt also eine teilweise Erledigung im außergerichtlichen Verfahren vor, so ist die Erledigungssumme mit dem (ursprünglichen) Gegenstandswert zu subtrahieren, wenn nicht bereits der Gebührenstreitwert festgelegt worden ist. Ferner ist zu prüfen, ob beide Gebühren denselben Gegenstand betreffen. Erst dann findet die Anrechnung Anwendung.[9]

[9] Volpert, Zivilsachen: Geschäftsgebühr richtig anrechnen, zuletzt abgerufen am 11.12.2023 in: https://www.iww.de/rvgprof/archiv/gebuehrenanrechnung-zivilsachen-geschaeftsgebuehr-richtig-anrechnen-f47557>.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?