Leitsatz
- Ob ein für die Sittenwidrigkeit der Honorarvereinbarung sprechendes auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar besteht, hängt davon ab, welche Vergütung nach Umfang und Schwierigkeit der im Rahmen des konkreten Mandats geschuldeten anwaltlichen Tätigkeit marktangemessen und adäquat ist. Die gesetzlichen Gebühren stellen hierbei ein Indiz dar.
- Die tatsächliche Vermutung, dass ein Honorar unangemessen hoch ist, welches die gesetzlichen Gebühren um mehr als das Fünffache übersteigt, gilt auch für zivilrechtliche Streitigkeiten. Der Anwalt kann die Vermutung entkräften.
BGH, Urt. v. 10.11.2016 – IX ZR 119/14
1 Sachverhalt
Die Kläger hatten den Beklagten am 6.10.2009 beauftragt, sie in einer Kindschaftssache wegen ihres Pflegekindes zu vertreten. Die Kläger wollten die mit der Mutter des Pflegekindes und dem Jugendamt bestehenden Konflikte klären lassen. Mit Schreiben v. 15.10.2009 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass bei ihm bereits ein erheblicher Zeitaufwand von 9 bis 10 Stunden angefallen sei und bot ihnen an, entweder eine Honorierung nach reinem Zeitaufwand (200,00 EUR pro Stunde) oder pauschaliert zu vereinbaren. Außerdem übermittelte der Beklagte den Klägern eine Vorschussnote über 2.580,00 EUR netto und kündigte an, zu dem für den 21.10.2009 bestimmten Termin beim Jugendamt nur nach Begleichung des Vorschusses anreisen zu wollen. Die Kläger wählten zunächst die Stundenhonorarvereinbarung und zahlten den verlangten Vorschuss.
Nachdem der Beklagte am 22.10.2009 für den bis dahin aufgelaufenen Zeitaufwand 4.188,68 EUR abrechnete, entschlossen sich die Kläger dazu, nunmehr doch das alternativ angebotene Pauschalhonorar zu vereinbaren. Am 5.11.2009 unterzeichneten sie eine entsprechende Urkunde, wonach sich der Beklagte ein Pauschalhonorar von 20.000,00 EUR für die Vertretung der Kläger "in der Sache unseres Pflegekindes […] bezüglich aller sich hieraus ergebenden Sach- und Rechtsfragen" für die erste Instanz zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer versprechen ließ. Für jede weitere Instanz sollte das Honorar besonders vereinbart werden. Der Beklagte vertrat die Kläger in einer Besprechung mit dem Jugendamt, in zwei – für die Kläger erfolgreichen – familienrechtlichen Verfahren vor dem AG und in einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Die hierfür entstandenen gesetzlichen Gebühren betrugen nach einem im Rechtsstreit eingeholten Gebührengutachten der Rechtsanwaltskammer insgesamt 3.733,03 EUR. Der Beklagte rechnete einen Gesamtbetrag von 24.581,50 EUR ab, den die Kläger vollständig bezahlten.
Die Klage auf Rückzahlung von 24.581,50 EUR hatte in erster Instanz keinen Erfolg. Mit ihrer Berufung haben die Kläger ihre Klage nur noch i.H.v. 20.848,37 EUR nebst vorgerichtlichen Anwaltskosten weiterverfolgt. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
2 Aus den Gründen
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Die Revision ist unzulässig, soweit die Kläger Ansprüche auf Schadensersatz wegen schuldhafter Verletzung des Anwaltsvertrags geltend machen. Insoweit fehlt es bereits an einer Berufung gegen das landgerichtliche Urteil.
Zwar haben die Kläger in erster Instanz auch geltend gemacht, der Beklagte habe sie über die Möglichkeiten, das Anwaltshonorar zu finanzieren, unzureichend beraten und sie nicht über die Höhe der gesetzlichen Gebühren informiert. Insoweit haben die Kläger jedoch gegen das die Klage abweisende Urteil des LG keine Berufung eingelegt. Selbst wenn der Beklagte zu einer solchen Beratung verpflichtet gewesen sein sollte, handelt es sich bei einem hieraus folgenden Schadensersatzanspruch um einen anderen Streitgegenstand als das Begehren, das tatsächlich vereinbarte Honorar wegen seiner unangemessenen Höhe oder der Sittenwidrigkeit der Vereinbarung zurückzufordern. Die Kläger haben sich in ihrer Berufungsbegründung jedoch darauf beschränkt, das landgerichtliche Urteil wegen einer Verletzung des § 3a Abs. 2 RVG anzugreifen. Ausführungen zu einem Schadensersatzanspruch der Kläger aufgrund einer unzureichenden Beratung durch den Beklagten enthält die Berufungsbegründung nicht. Es liegt mithin eine auf die Rückforderung überzahlten Honorars beschränkte Berufung vor.
II. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, den Klägern stehe kein Rückforderungsanspruch zu, weil die getroffene Pauschalvereinbarung nicht sittenwidrig sei. Es liege kein auffälliges Missverhältnis zwischen der Anwaltsleistung und dem vereinbarten Pauschalhonorar vor. Objektiver Beurteilungsmaßstab für die Frage eines Missverhältnisses zwischen Anwaltsleistung und Honorarvereinbarung sei die Überschreitung des fünffachen Satzes der gesetzlichen Gebühren. Allein aufgrund des im Streitfall errechneten Faktors von 6,44 könne ein solches Missverhältnis nicht vermutet werden, weil der Beklagte seinen erheblichen Arbeitsaufwand hinreichend dargelegt habe und andererseits wegen der niedrigen oder mittleren Streitwerte ei...