Bayerische Verfassung Art. 91, 118 Abs. 1; VfGHG BY § 54 S. 2; BGB § 367 Abs. 1; RVG § 15a Abs. 2
Leitsatz
Das Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) ist verletzt, wenn der Rechtspfleger sich mit Einwendungen des Erinnerungsführers nicht auseinandersetzt und diese ohne Begründung übergeht.
Bayerischer VerfGH, Entsch. v. 16.10.2017 – Vf. 1-VI-17
1 Sachverhalt
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des AG v. 13.7.2016, gegen den Beschluss des AG v. 19.9.2016, mit dem der Erinnerung der Beschwerdeführerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss nicht abgeholfen wurde, gegen den Beschluss des AG v. 6.10.2016, mit dem die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss zurückgewiesen wurde, sowie gegen den Beschluss des AG v. 28.10.2016, mit dem die Anhörungsrüge gegen diesen Beschluss zurückgewiesen wurde.
I. 1. Die Beschwerdeführerin hatte zusammen mit Herrn M. eine Wohnung gemietet. Nach Beendigung des Mietverhältnisses machten die Mieter mithilfe des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin zunächst außergerichtlich Kautionsrückzahlungsansprüche gegen die Vermieter geltend. Hierfür bezahlten die Beschwerdeführerin und Herr M. Anwaltskosten gem. einer Kostenrechnung ihres Bevollmächtigten v. 8.8.2012, darunter insbesondere eine 1,3 Geschäftsgebühr, die sich wegen der Mehrvertretung gem. Nr. 1008 VV um 0,3 auf 1,6 erhöhte und insgesamt 841,60 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer betrug. Nachdem Herr M. seine Ansprüche gegen die Vermieter an die Beschwerdeführerin abgetreten hatte, erhob diese wegen verschiedener Ansprüche aus dem Mietverhältnis Klage zum AG; als Nebenforderung klagte sie die ihr und Herrn M. entstandenen vorgerichtlichen Anwaltskosten mit ein. Am 23.11.2012 schlossen die Prozessparteien vor dem AG einen gerichtlichen Vergleich, wonach die beklagten Vermieter an die Beschwerdeführerin zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche aus dem Mietverhältnis einen Betrag i.H.v. 2.550,00 EUR zahlen sollten. Die Parteien erklärten im Vergleich, dass sie sich darüber einig seien, dass in diesem Zahlungsbetrag vorgerichtliche Anwaltskosten der Klagepartei i.H.v. 745,00 EUR enthalten seien.
2. Mit Antrag vom 21.2.2013, nach längerem Schriftwechsel geändert und präzisiert durch Schriftsatz v. 18.5.2016, beantragte der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin beim AG Kostenfestsetzung. Im Schriftwechsel der Parteien war strittig, in welcher Höhe die Geschäftsgebühr des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin auf dessen Verfahrensgebühr anzurechnen sei. Der Bevollmächtigte trug vor, er habe zwar vorgerichtlich zwei Auftraggeber vertreten und demzufolge eine erhöhte 1,6 Geschäftsgebühr berechnet. Im Klageverfahren habe er dagegen nur noch einen der beiden Auftraggeber vertreten. Die Anrechnung gem. der Vorbem. 3 Abs. 4 VV erfolge nur, soweit derselbe Gegenstand vorliege. Dies setze einen zeitlichen, personellen und sachlichen Zusammenhang voraus; ein personeller Zusammenhang bestehe nur, soweit derselbe Rechtsanwalt oder dieselbe Sozietät gegenüber der gleichen Person tätig werde. Daher sei vorliegend die nicht erhöhte 1,3 Geschäftsgebühr anzurechnen. Ferner könnten sich die beklagten Vermieter gem. § 15a Abs. 2 Alt. 1 RVG nur auf die Anrechnung berufen, soweit sie den Anspruch auf die Geschäftsgebühr erfüllt hätten. Der Vergleichsbetrag sei i.H.v. 745,00 EUR auf die vorgerichtlichen Anwaltskosten bezahlt worden. Ausweislich der Vergleichsregelung hätten die Beklagten die von der Beschwerdeführerin eingeklagten vorgerichtlichen Anwaltskosten i.H.v. insgesamt 1.025,30 EUR zuzüglich Zinsen nur i.H.v. 745.00 EUR erstattet. Damit seien gem. § 366 Abs. 2 BGB verhältnismäßig die 1,3 Geschäftsgebühr, die 0,3 Erhöhungsgebühr, die Postpauschale und die Umsatzsteuer getilgt worden. Nach Abzug der Zinsen und einer quotalen Anrechnung seien nur 71,78 % einer 0,65 Geschäftsgebühr, insgesamt 245,42 EUR bezahlt worden. Nur in dieser Höhe sei eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr möglich.
3. In dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss v. 13.7.2016 ging das AG demgegenüber von einem Anrechnungsbetrag von 305,76 EUR aus. Der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin legte dagegen Erinnerung ein und führte erneut aus, dass das Gericht bei seiner Berechnung des Anrechnungsbetrags nicht berücksichtigt habe, dass gem. § 367 Abs. 1 BGB zunächst die Zinsen getilgt worden seien und dass vorliegend nur die nicht erhöhte 1,3 Geschäftsgebühr zur Anrechnung kommen könne.
Mit dem ebenfalls angegriffenen Beschl. v. 19.9.2016, hinsichtlich der Begründung ergänzt durch Beschl. v. 4.10.2016, half das AG der Erinnerung nicht ab.
Mit dem weiter angegriffenen Beschl. v. 6.10.2016 wies das AG die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss zurück. Im Vergleich tituliert und bezahlt worden seien an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten 745,00 EUR, während laut Klage 1.025,30 EUR (Gebühr 841,60 EUR) gefordert worden seien. Somit sei auf die Geschäftsgebühr ein Betrag von 611,52 EUR bezahlt worden, wovon die Hälfte und so...