Schon zu BRAGO-Zeiten war heftig umstritten, ob die Befriedigungsgebühr (damals § 84 Abs. 2 BRAGO) anfallen konnte, wenn das Strafverfahren zwar eingestellt, die Sache aber zur weiteren Verfolgung als Ordnungswidrigkeit an die Verwaltungsbehörde abgegeben wurde. Mit Einführung des RVG sollte diese Streitfrage eigentlich geklärt sein. Daraus, dass – im Gegensatz zur BRAGO – Straf- und Bußgeldsachen in gesonderten Teilen des Vergütungsverzeichnisses geregelt sind, folgt bereits, dass die Einstellung eines Strafverfahrens zur Anwendung der zusätzlichen Gebühr nach Nr. 4141 VV führen muss, unabhängig davon, ob die Sache zur weiteren Verfolgung als Bußgeldsache an die Verwaltungsbehörde abgegeben wird. Dennoch blieb die Rspr. hier uneinheitlich. Während die wohl überwiegende Rspr. der Auffassung war, die zusätzliche Gebühr falle auch dann an, wenn das Strafverfahren eingestellt, die Sache aber an die Bußgeldbehörde abgegeben werde,[24] hat der BGH[25] gegenteilig entschieden und darauf abgestellt, dass das Verfahren als solches gerade nicht endgültig eingestellt werde, sondern seine Fortsetzung in der Bußgeldsache finde. Die Instanzrechtsprechung ist dennoch teilweise bei ihrer gegenteiligen Auffassung geblieben.[26] Mit der Änderung in Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 zu Nr. 4141 VV wird die gesetzliche Regelung jetzt klargestellt. Es heißt dort nicht mehr, dass die Gebühr (erst) bei Einstellung "des Verfahrens" entsteht, sondern (bereits) bei Einstellung "des Strafverfahrens". Damit ist klargestellt, dass mit Einstellung des Strafverfahrens die Gebühr anfällt, unabhängig davon, ob die Tat als solche in einem anderen Verfahren, nämlich einem Bußgeldverfahren, weiter verfolgt wird.

 

Beispiel 5: Einstellung des Strafverfahrens und Abgabe an die Verwaltungsbehörde zur Verfolgung als Ordnungswidrigkeit wegen derselben Tat

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach einem Verkehrsunfall wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung. Das Verfahren wird eingestellt. Daraufhin wird ein Bußgeldverfahren wegen Vorfahrtsverletzung (Bußgeld unter 40,00 EUR) eingeleitet, das schließlich eingestellt wird.

Während nach der Rspr. des BGH im Strafverfahren keine zusätzliche Gebühr anfallen konnte (s.o.), entsteht diese nach der Neufassung, da nach dem ausdrücklichen Wortlaut die Einstellung des Strafverfahrens ausreicht und eine Erledigung des gesamten Verfahrens gerade nicht erforderlich ist. Im Bußgeldverfahren entsteht darüber hinaus eine weitere zusätzliche Gebühr, da auch dieses Verfahren eingestellt worden ist.

Dagegen kann im Bußgeldverfahren keine Grundgebühr anfallen, da dies durch Anm. Abs. 2 zu Nr. 5100 VV ausdrücklich ausgeschlossen ist.

Nach den neuen Gebührenbeträgen ist wie folgt zu rechnen:

I. Strafverfahren

 
1. Grundgebühr, Nr. 4100 VV 200,00 EUR  
2. Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV    165,00 EUR
3. Zusätzliche Gebühr, Nrn. 4141, 4106 VV    165,00 EUR
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 550,00 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   104,50 EUR
Gesamt   654,50 EUR

II. Bußgeldverfahren

 
1. Verfahrensgebühr, Nr. 5101 VV    65,00 EUR
2. Zusätzliche Gebühr, Nrn. 5115, 5101 VV   65,00 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 150,00 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   28,50 EUR
Gesamt   178,50 EUR

Diese Klarstellung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift, für den Anwalt einen Anreiz zu schaffen, rechtzeitig an der Erledigung des Verfahrens mitzuwirken. Die vom BGH vorgenommene Auslegung führte nämlich zu dem gegenteiligen Ergebnis, so dass es für den Anwalt gebührenrechtlich interessanter war, es auf die Hauptverhandlung ankommen zu lassen, um dort eine Einstellung zu erreichen.

[23] Änderung durch Art. 8 Abs. 2 Nr. 102 Buchst. a) aa).
[24] AG Regensburg AGS 2006, 125 = StraFo 2006, 88 = RVG prof. 2006, 21 = RVGreport 2006, 274; AG Köln AGS 2006, 234 = zfs 2006, 646; AG Bad Kreuznach, Urt. v. 5.5.2006 – 2 C 1747/05, nachgewiesen bei www.burhoff.de; AG Saarbrücken AGS 2007, 306 = RVGprof. 2007, 118; AG Stuttgart AGS 2007, 306; AG Gelnhausen AGS 2007, 453 = VRR 2007, 283; AG Nettetal AGS 2007, 404 = VRR 2007, 283; AG Hannover AGS 2006, 235; LG Osnabrück RVGprof. 2008, 7 = VRR 2008, 3 u. 43; AG Lemgo AGS 2009, 28 = zfs 2008, 712 = RVGreport 2008, 463; ebenso Burhoff, Nr. 4141 VV Rn 15; a.A. AG München AGS 2007, 305 m. abl. Anm. N. Schneider = JurBüro 2004, 305; AG Osnabrück VRR 2008, 43 = RVGprof. 2008, 52 = VRR 2008, 119 = RVGreport 2008, 190.
[25] AGS 2010, 1 = BRAK-Mitt 2010, 33 = zfs 2010, 103 = Rpfleger 2010, 158 = AnwBl 2010, 140 = MDR 2010, 413 = JurBüro 2010, 132 = NJW 2010, 1209 = DAR 2010, 235 = NJW-Spezial 2010, 61 = RVGprof. 2010, 25 = VRR 2010, 38 = RVGreport 2010, 70 = StRR 2010, 110.
[26] LG Aurich AGS 2011, 593 = RVGprof. 2011, 188 = VRR 2011, 439 = StRR 2011, 443 = RVGreport 2011, 464.

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