Schon zu BRAGO-Zeiten war heftig umstritten, ob die Befriedigungsgebühr (damals § 84 Abs. 2 BRAGO) anfallen konnte, wenn das Strafverfahren zwar eingestellt, die Sache aber zur weiteren Verfolgung als Ordnungswidrigkeit an die Verwaltungsbehörde abgegeben wurde. Mit Einführung des RVG sollte diese Streitfrage eigentlich geklärt sein. Daraus, dass – im Gegensatz zur BRAGO – Straf- und Bußgeldsachen in gesonderten Teilen des Vergütungsverzeichnisses geregelt sind, folgt bereits, dass die Einstellung eines Strafverfahrens zur Anwendung der zusätzlichen Gebühr nach Nr. 4141 VV führen muss, unabhängig davon, ob die Sache zur weiteren Verfolgung als Bußgeldsache an die Verwaltungsbehörde abgegeben wird. Dennoch blieb die Rspr. hier uneinheitlich. Während die wohl überwiegende Rspr. der Auffassung war, die zusätzliche Gebühr falle auch dann an, wenn das Strafverfahren eingestellt, die Sache aber an die Bußgeldbehörde abgegeben werde, hat der BGH gegenteilig entschieden und darauf abgestellt, dass das Verfahren als solches gerade nicht endgültig eingestellt werde, sondern seine Fortsetzung in der Bußgeldsache finde. Die Instanzrechtsprechung ist dennoch teilweise bei ihrer gegenteiligen Auffassung geblieben. Mit der Änderung in Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 zu Nr. 4141 VV wird die gesetzliche Regelung jetzt klargestellt. Es heißt dort nicht mehr, dass die Gebühr (erst) bei Einstellung "des Verfahrens" entsteht, sondern (bereits) bei Einstellung "des Strafverfahrens". Damit ist klargestellt, dass mit Einstellung des Strafverfahrens die Gebühr anfällt, unabhängig davon, ob die Tat als solche in einem anderen Verfahren, nämlich einem Bußgeldverfahren, weiter verfolgt wird.
Beispiel 5: Einstellung des Strafverfahrens und Abgabe an die Verwaltungsbehörde zur Verfolgung als Ordnungswidrigkeit wegen derselben Tat
Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach einem Verkehrsunfall wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung. Das Verfahren wird eingestellt. Daraufhin wird ein Bußgeldverfahren wegen Vorfahrtsverletzung (Bußgeld unter 40,00 EUR) eingeleitet, das schließlich eingestellt wird.
Während nach der Rspr. des BGH im Strafverfahren keine zusätzliche Gebühr anfallen konnte (s.o.), entsteht diese nach der Neufassung, da nach dem ausdrücklichen Wortlaut die Einstellung des Strafverfahrens ausreicht und eine Erledigung des gesamten Verfahrens gerade nicht erforderlich ist. Im Bußgeldverfahren entsteht darüber hinaus eine weitere zusätzliche Gebühr, da auch dieses Verfahren eingestellt worden ist.
Dagegen kann im Bußgeldverfahren keine Grundgebühr anfallen, da dies durch Anm. Abs. 2 zu Nr. 5100 VV ausdrücklich ausgeschlossen ist.
Nach den neuen Gebührenbeträgen ist wie folgt zu rechnen:
I. Strafverfahren
1. |
Grundgebühr, Nr. 4100 VV |
200,00 EUR |
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2. |
Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV |
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165,00 EUR |
3. |
Zusätzliche Gebühr, Nrn. 4141, 4106 VV |
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165,00 EUR |
4. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
550,00 EUR |
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5. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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104,50 EUR |
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Gesamt |
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654,50 EUR |
II. Bußgeldverfahren
1. |
Verfahrensgebühr, Nr. 5101 VV |
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65,00 EUR |
2. |
Zusätzliche Gebühr, Nrn. 5115, 5101 VV |
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65,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
150,00 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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28,50 EUR |
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Gesamt |
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178,50 EUR |
Diese Klarstellung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift, für den Anwalt einen Anreiz zu schaffen, rechtzeitig an der Erledigung des Verfahrens mitzuwirken. Die vom BGH vorgenommene Auslegung führte nämlich zu dem gegenteiligen Ergebnis, so dass es für den Anwalt gebührenrechtlich interessanter war, es auf die Hauptverhandlung ankommen zu lassen, um dort eine Einstellung zu erreichen.