ZPO § 485 Abs. 2
Leitsatz
Streiten getrennt lebende Eheleute, zwischen denen bereits ein Trennungsunterhaltsverfahren schwebt, über den Wert eines in ihrem jeweils hälftigen Miteigentum stehenden Hausgrundstücks, besteht ein rechtliches Interesse i.S.v. § 485 Abs. 2 ZPO an der Feststellung des Wertes des Hausgrundstücks, wenn durch die Wertfeststellung vor Anhängigkeit des Ehescheidungsprozesses die Folgesache Zugewinnausgleich durch eine Verständigung der Eheleute vermieden werden kann.
OLG Naumburg, Beschl. v. 13.4.2011 – 8 WF 74/11
1 Aus den Gründen
Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe (§ 113 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 2, 3 ZPO) für ihren Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens (§ 113 FamFG i.V.m. §§ 485 ff. ZPO) ist begründet. Denn der Antrag auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens hat – abweichend von der Ansicht des FamG – hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 113 FamFG i.V.m. § 114 ZPO), weil die Antragstellerin ein "rechtliches Interesse" an der Durchführung des Beweisverfahrens hat:
Die Parteien, die als Ehegatten seit dem 20.7.2010 getrennt leben und zwischen denen bereits ein Trennungsunterhaltsverfahren schwebt, streiten über den Wert eines in ihrem jeweils hälftigen Miteigentum stehenden Hausgrundstücks. Die Antragstellerin schätzt den Wert auf 153.000,00 EUR, der Antragsgegner auf 73.000,00 EUR. Das Ehescheidungsverfahren ist noch nicht anhängig, zumal das erste Trennungsjahr noch nicht abgelaufen ist.
Ist ein Rechtsstreit noch nicht anhängig, kann eine Partei ein selbstständiges Beweisverfahren anhängig machen, wenn sie ein "rechtliches Interesse" daran hat, dass der Wert einer Sache festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse "ist" anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen "kann" (§ 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 u. S. 2 ZPO).
Insofern weist die Antragstellerin zutreffend auf die Möglichkeit hin, vor Anhängigkeit des Ehescheidungsprozesses die Folgesache Zugewinnausgleich zu vermeiden. So sei – nach entsprechender Wertfeststellung – nicht auszuschließen, dass man sich schon vor der Anhängigkeit des Ehescheidungsverfahrens darauf verständige, dass einer der Ehegatten die Immobilie gegen Zahlung einer entsprechenden Abfindung übernehme.
Wie aus § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO hervorgeht, "ist" in einem solchen Fall ein "rechtliches Interesse" anzunehmen. Denn die Feststellung des Wertes "kann" der Vermeidung eines gerichtlichen Zugewinnausgleichsverfahrens dienen. Insoweit genügt eine Schlichtungsmöglichkeit im weitesten Sinne; auch entfernte Schlichtungsmöglichkeiten berechtigen nicht dazu, das "rechtliche Interesse" zu verneinen. Der Hauptsacheprozess muss nicht mit Sicherheit zu erwarten oder angedroht sein; schon die aus der Rechtslage herzuleitende Möglichkeit eines solchen Prozesses genügt. Auf die Möglichkeit, ein Privatgutachten einzuholen, darf der Antragsteller nicht verwiesen werden (vgl. zum Ganzen Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., unter Bezugnahme auf OLG Koblenz FamRZ 2009, 804 f., sowie auf OLG Köln FamRZ 2010, 1685 f.). Das selbstständige Beweisverfahren "kann" selbst dann ein gerichtliches Verfahren vermeiden, wenn die in diesem Verfahren festzustellenden Tatsachen keine ausreichende Grundlage für materiell-rechtliche Ansprüche (vgl. hier etwa § 1384 BGB) geben; denn auf die Erheblichkeit der Beweisfragen oder die Erfolgsaussichten im späteren Prozess kommt es nicht an (Musielak/Huber, ZPO, 7. Aufl., § 485 Rn 13 m. w. Nachw.).
Das FamG wird daher die Kostenarmut der Antragstellerin zu prüfen haben.
2 Anmerkung
Von der Möglichkeit eines selbstständigen Beweisverfahrens wird in Familiensachen viel zu wenig Gebrauch gemacht. In der Praxis ist kaum bekannt, dass diese Möglichkeit in Familienstreitsachen besteht. Selbst der Gesetzgeber hatte dies zunächst nicht bemerkt und übersehen, im FamGKG einen Gebührentatbestand für das selbstständige Beweisverfahren zu regeln. Dies ist zwischenzeitlich durch die zum 28.12.2010 eingeführte Nr. 1503 FamGKG-KostVerz. geschehen.
Insbesondere in Zugewinnsachen, bei denen der Streit häufig nur um den Wert einer Immobilie oder eines Geschäftsbetriebs geht, bietet sich das selbstständige Beweisverfahren an.
Die Beteiligten haben die Möglichkeit, schnell eine Bewertung dieser Vermögensposition zu erhalten, wodurch sich dann in aller Regel auch der Streit über die Höhe des Zugewinns ebenso schnell erledigt. Der Vorteil für die Beteiligten liegt darin, dass im selbstständigen Beweisverfahren nur eine 1,0-Gebühr bei Gericht erhoben wird, während der Rechtsstreit 3,0-Gebühren kostet.
Auch für die beteiligten Anwälte ist das selbstständige Beweisverfahren interessant, da dort sämtliche Gebühren des Verfahrens (1,3-Verfahrensgebühr und 1,2-Terminsgebühr) verdient werden können. Kommt es dann zu einer Einigung, entsteht – im Gegensatz zum Zugewinnverfahren – eine 1,5-Einigungsgebühr (arg. e. Nr. 1003 VV).
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass sich der Wert des Beweisverfahrens weder nach de...