Leitsatz
- Hat sich der Widerspruchsführer im Widerspruchsverfahren von seinen späteren Verfahrensbevollmächtigten lediglich beraten lassen, liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO nicht vor, so dass die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigen im Vorverfahren nicht ausgesprochen werden darf.
- Ist jedoch in Verkennung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen ausgesprochen worden, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren notwendig war, so ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle an diese Entscheidung gebunden und muss die Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren im Rahmen der Kostenfestsetzung berücksichtigen.
OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 24.11.2014 – OVG 3 K 61.14
1 Sachverhalt
Das VG hat der von der Erinnerungsführerin erhobenen Anfechtungsklage stattgegeben, der Beklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat den Kostenfestsetzungsantrag der Klägerin in Bezug auf eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV abgelehnt, weil die Verfahrensbevollmächtigten nicht im Vorverfahren tätig gewesen seien. Das VG wies die hiergegen gerichtete Erinnerung zurück. Der Ausspruch über die Notwendigkeit einer Zuziehung nach § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO stelle zwar eine Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit dar, ersetze jedoch nicht die fehlende Tätigkeit des Rechtsanwaltes im Vorverfahren, die über eine bloße Beratung hinausgehen müsse.
2 Aus den Gründen
Die Beschwerde der Erinnerungsführerin gegen den Beschluss des VG hat Erfolg. Die Erinnerungsführerin kann eine Vergütungsfestsetzung für die außergerichtliche Tätigkeit ihrer Verfahrensbevollmächtigten im Vorverfahren beanspruchen.
Zwar geht der erstinstanzliche Beschluss zutreffend davon aus, dass Kosten des Vorverfahrens i.S.v. § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO grundsätzlich nur erstattungsfähig sind, wenn der tätig gewordene Rechtsanwalt förmlich bevollmächtigt war und er zudem nach außen aufgetreten ist. Eine lediglich interne Beratung des Widerspruchsführers durch seinen Bevollmächtigten erfüllt das Tatbestandsmerkmal der "Zuziehung eines Bevollmächtigten" nicht (OVG Magdeburg, Beschl. v. 14.2.2007 – 4 O 23/07, juris Rn 2; OVG Greifswald, Beschl. v. 4.1.2005 – 1 O 267/04, juris Rn 7 f.; VGH Mannheim, Urt. v. 8.5.1998 – 8 S 444/98, juris Rn 24; OVG Münster, Beschl. v. 29. 11. 1995 – 8 E 400/95, juris Rn 8 ff.). Dies ist u.a. deshalb gerechtfertigt, weil anderenfalls die Abgrenzung der im Vorverfahren angefallenen Gebühren und Auslagen von den sonstigen zur Rechtsverfolgung oder -verteidigung gemachten Aufwendungen erschwert würde (vgl. Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Kommentar, § 162 Rn 72).
Das für die Entscheidung nach § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO zuständige Gericht darf die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren jedoch nur dann nur bejahen, wenn sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm erfüllt sind. Dazu gehört auch die Prüfung, ob eine "Zuziehung" tatsächlich gegeben, d.h. ob der Rechtsanwalt förmlich bevollmächtigt war und nicht nur intern beratend tätig geworden ist (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 29.11.1995 – 8 E 400/95, juris Rn 5 und Leitsatz 2). Wird die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO ausgesprochen und damit auch seine "Zuziehung" bejaht, so ist zugleich positiv über die Erstattungsfähigkeit der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV entschieden.
Dies ist auch im Hinblick auf die Rechtsnatur der Entscheidung nach § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO gerechtfertigt. Anders als die Entscheidung über die Kostenfolge i.S.v. §§ 154 bis 161, 120 Abs. 1 VwGO, über die nach § 161 Abs. 1 VwGO zwingend im Urteil zu entscheiden ist, wenn ein solches ergeht, und die die Kostenerstattungspflicht der Beteiligten lediglich dem Grunde nach regelt, betrifft die Entscheidung nach § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO den Umfang der Kostenerstattungspflicht. Das Gericht befindet anstelle des für die Kostenfestsetzung im Allgemeinen zuständigen Beamten darüber, ob die geltend gemachten Kosten des Vorverfahrens als i.S.d. § 162 Abs. 1 VwGO zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendige Aufwendungen anzusehen sind, d.h. auch darüber, ob und inwieweit Aufwendungen erstattungsfähig sind (BVerwG, Urt. v. 18.2.1981 – 4 C 75/80, juris Rn 8 f.; BVerwG, Urt. v. 28.4.1967 – VII C 128/66, juris Rn 12). Die Entscheidung nach § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO legt die Notwendigkeit einer einzelnen Kostenposition fest und regelt damit die erstattungsfähigen Kosten ihrer Höhe nach (Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 4. Aufl., § 162 Rn 113; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, Kommentar, 14. Aufl., § 162 Rn 13; OVG Koblenz, Beschl. v. 6.6.2011 – 1 E 10470/11, NVwZ-RR 2011, 789; vgl. auch VGH München, Beschl. v. 25.5.2009 – 13 M 09.1144, juris Rn 13).
Eine gerichtliche Entscheidung, die die Notwendigkeit einer Zuziehung ausspricht oder diese verneint und damit über das Vorliegen der materielle...