Leitsatz
Die Frage, ob die bedürftige Partei durch die getrennte Verfolgung ihrer rechtlichen Interessen mutwillig gehandelt hat, ist im Vergütungsfestsetzungsverfahren nicht zu prüfen. Gewährt das Gericht für die getrennte Rechtsverfolgung jeweils gesondert Prozesskostenhilfe, dann steht dem beigeordneten Rechtsanwalt auch jeweils eine gesonderte Vergütung zu.
OLG Hamm, Beschl. v. 4.11.2016 – II-6 WF 127/15
1 Sachverhalt
Die Kindeseltern hatten vor dem FamG sowohl ein Verfahren betreffend die elterliche Sorge für ihre Kinder, eingeleitet durch die Kindesmutter, geführt als auch das Verfahren betreffend den Umgang des Kindesvaters mit den Kindern, ebenfalls eingeleitet durch die Kindesmutter mit Schriftsatz.
Die Richterin hatte der Kindesmutter in beiden Verfahren Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung des Beteiligten zu 1) bewilligt.
Nach Abschluss der Verfahren hat der Beteiligte zu 1) in dem hiesigen Verfahren zur elterlichen Sorge einen Antrag auf Vergütungsfestsetzung gestellt. Dabei hat er aus dem festgesetzten Verfahrenswert von 5.000,00 EUR eine Verfahrens- und eine Terminsgebühr nebst Postentgeltpauschale angesetzt i.H.v. insgesamt 675,33 EUR errechnet.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die dem Beteiligten zu 1) aus der Landeskasse zu zahlenden Gebühren auf lediglich weitere 157,67 EUR festgesetzt. Sie hat dazu ausgeführt, dass der Beteiligte zu 1) wegen des Gebotes der kostensparenden Prozessführung gehalten gewesen sei, ein einheitliches Verfahren zur elterlichen Sorge und zum Umgang einzuleiten. Wegen Verstoßes gegen diese Verpflichtung könne er die beiden Verfahren nunmehr nur gemeinsam nach den zusammengerechneten Verfahrenswerten von 2 × 5.000,00 EUR abrechnen, außerdem sei der gewährte Vorschuss in dem Umgangsverfahren i.H.v. 586,08 EUR anzurechnen. Auf dieser Grundlage hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle rechnerisch beanstandungsfrei einen Erstattungsanspruch von nur weiteren 157,67 EUR errechnet.
Der gegen diesen Beschluss eingelegten Erinnerung des Beteiligten zu 1) hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle nicht abgeholfen und sie der Amtsrichterin vorgelegt. Diese hat die Erinnerung zurückgewiesen und sich die Begründung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zu eigen gemacht.
Gegen diesen, ihm nur formlos übermittelten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1). Die Amtsrichterin hat dieser Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
2 Aus den Gründen
Die gem. §§ 56, 33 Abs. 3–8 RVG zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der Beteiligte zu 1) kann das Ausgangsverfahren zur Sorge getrennt von dem Verfahren zum Umgang abrechnen, denn ein etwaiger Verstoß gegen das Gebot der kostensparenden Rechtsverfolgung kann im Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG nicht mehr gerügt werden; soweit der Senat bislang die gegenteilige Ansicht vertreten hat, hält er an dieser Rspr. nicht mehr fest.
Zwar kommt im vorliegenden Verfahren ein Verstoß gegen das Gebot der kostensparenden Rechtsverfolgung in Betracht. Nach diesem Gebot ist der Beteiligte, dem Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist, dazu verpflichtet, die Verfahrensgestaltung zu wählen, bei welcher die geringsten Kosten anfallen, wenn nicht vernünftige Gründe für eine andere Verfahrensgestaltung vorliegen. Er darf nur solche Möglichkeiten der Rechtsverfolgung wahrnehmen, die er auch nutzen würde, wenn er wirtschaftlich leistungsfähig wäre und also die Kosten des Verfahrens tragen müsste. Danach liegt ein Verstoß des für die Kindesmutter tätigen Beteiligten zu 1) gegen das Gebot der kostensparenden Rechtsverfolgung im Streitfall nahe, weil er getrennte Verfahren zur Sorge und zum Umgang eingeleitet hat, obwohl er den Antrag auf Aussetzung des Umgangs kostensparend auch im Rahmen des Sorgeverfahrens hätte stellen können (vgl. Senat FamFR 2013, 545 [= AGS 2014, 144]).
Allerdings ist umstritten, ob das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Gebot der kostensparenden Prozessführung noch im Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG gerügt werden kann. Während insbesondere der erkennende Senat bislang die Ansicht vertreten hat, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle einen derartigen Verstoß auch noch im Verfahren zur Festsetzung der Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts berücksichtigen kann (Senat FamRZ 2009, 362; MDR 2014, 286; ebenso OLG Koblenz FamRZ 2015, 433), ist nach der Gegenansicht eine solche Prüfung im Festsetzungsverfahren nicht mehr vorzunehmen (BAG NJW 2011, 1161; LAG Hamburg RVGreport 2016, 344 [= AGS 2016, 433]; OLG Schleswig FamRZ 2009, 537 [= AGS 2009, 34]; OLG Bremen NZFam 2015, 770 [= AGS 2015, 337]).
Der Senat schließt sich nunmehr unter Aufgabe seiner bisherigen Rspr. der letztgenannten Ansicht an. Denn der Verstoß gegen den Grundsatz der kostensparenden Prozessführung wird vor dem Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG bereits im Verfahrenskostenhilfeverfahren überprüft. Verfahrenskostenhilfe wird nach § 114 Abs. 1 ZPO nur bewilligt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und ...