BGB §§ 627, 628 Abs. 1 S. 2 BRAGO § 13 RVG § 15
Leitsatz
- Kündigt der Rechtsanwalt das Mandatsverhältnis, ohne durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teils dazu veranlasst zu sein, steht ihm ein Anspruch auf Vergütung insoweit nicht zu, als der Mandant einen anderen Prozessbevollmächtigten neu bestellen muss, mit dessen Vergütung auch die Tätigkeit des kündigenden Anwalts abgegolten wäre.
- Von einem Interessenwegfall ist auch auszugehen, soweit die aufgrund der Kündigung neu beauftragten Rechtsanwälte fristgebundene Verfahrenshandlungen nicht mehr vornehmen, fristgebundene Erklärungen nicht mehr abgeben und an vergangenen Terminen nicht mehr teilnehmen können, wenn mit der ihnen geschuldeten gesetzlichen Vergütung auch diese Handlungen abgegolten gewesen wären.
- Lehnt es der Auftraggeber ab, eine vom Anwalt während des Mandats gestellte Vergütungsvereinbarung abzuschließen, stellt dies keinen wichtigen Grund dar, der den Anwalt berechtigten würde, das Mandat zu kündigen.
BGH, Urt. v. 29.9.2011 – IX ZR 170/10
1 Sachverhalt
Die Klägerin, eine Prozessfinanziererin, verlangt von der beklagten Anwaltssozietät aus abgetretenem Recht die Rückzahlung von Rechtsanwaltsgebühren. Seit Anfang der 1990er Jahre vertrat die Beklagte die Zedentin bei der Durchsetzung von Ansprüchen wegen einer in M. gelegenen Immobilie. Vereinbart war, dass die Vertretung der Zedentin durch die Beklagte in einem Rechtsstreit mit den gesetzlichen Gebühren nach der damals noch geltenden BRAGO vergütet werden sollte. In diesem Rechtsstreit erging am 13.3.2001 ein Urteil des KG, das der BGH auf die Revision der Zedentin mit Urt. v. 20.9.2002 unter Zurückverweisung an das KG aufhob. In dem zurückverwiesenen Verfahren, das sich aufgrund einer umfangreichen Beweisaufnahme sehr aufwändig gestaltete, vertrat die Beklagte die Zedentin zunächst weiter. Hieran änderte sich vorerst auch nichts, nachdem die Beklagte die Zedentin mit Schreiben vom 29.6.2005 vergeblich zum Abschluss einer Honorarvereinbarung auf Stundenbasis aufgefordert hatte. Für die Vertretung in dem Verfahren hatte die Zedentin insgesamt 42.230,36 EUR an die Beklagte gezahlt.
Mit Schreiben vom 26.2.2008 verlangte die Beklagte erneut den Abschluss einer schriftlichen Honorarvereinbarung, nach der die Zedentin ihre weitere Tätigkeit nach Zeit vergüten sollte. Von der Unterzeichnung dieser Vereinbarung machte sie ihre weitere Tätigkeit abhängig. Nachdem die Zedentin sich weigerte, die von der Beklagten dem Schreiben beigefügte Honorarvereinbarung zu unterschreiben, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 19.3.2008 das Mandatsverhältnis. Die Zedentin bestellte neue Prozessbevollmächtigte für das Berufungsverfahren, die ihr eine 1,6-fache Verfahrensgebühr und eine 1,2-fache Terminsgebühr zuzüglich Post- und Telekommunikationsdienstleistungspauschale und Umsatzsteuer i.H.v. insgesamt 17.503,47 EUR in Rechnung stellten.
Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht die von der Zedentin aufgrund der Weigerung der Beklagten, das Mandat fortzuführen, doppelt entrichteten Gebühren. Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG die Beklagte in der Hauptsache antragsgemäß verurteilt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter.
2 Aus den Gründen
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, die Beklagte habe ihren Anwaltsdienstvertrag mit der Zedentin (§§ 611, 675 BGB) gem. § 627 Abs. 1 BGB wirksam gekündigt. Gem. dieser Vorschrift durfte die Beklagte den Vertrag jederzeit kündigen. Insoweit rügt die Revision das angefochtene Urteil nicht.
1. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in AGS 2011, 267 veröffentlicht ist, führt aus, die Klage sei aus § 812 Abs. 1 S. 2, Alt. 1 BGB i.V.m. § 398 S. 2 BGB begründet. Die Beklagte sei verpflichtet, den Teil der Gebühren, den die Klägerin infolge der Kündigung der Beklagten doppelt habe aufwenden müssen, zurückzuzahlen, weil ihr insoweit ein Anspruch auf die Vergütung nicht mehr zustehe. Ihre bisherigen Leistungen hätten infolge der Kündigung für die Zedentin als Dienstberechtigte kein Interesse mehr (§ 628 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Beklagte sei nicht zur Kündigung des Vertrages durch die Zedentin veranlasst worden. Zwar sei die Beklagte nicht gehindert gewesen, von der Zedentin den Abschluss einer Honorarvereinbarung zu verlangen. Die Weigerung der Zedentin, sich auf eine solche Vereinbarung einzulassen, stelle aber keine Pflichtwidrigkeit dar. Ob die Beklagte nach § 313 BGB einen Anspruch auf Anpassung des Vertrages gehabt habe, könne dahinstehen. Die Zedentin habe sich nicht geweigert, in Verhandlungen über eine Anpassung des Vertrages einzutreten, solche habe die Beklagte gar nicht verlangt. Die Zedentin habe nur die konkret vorgeschlagene Honorarvereinbarung abgelehnt. Hierauf habe die Beklagte entsprechend ihrer Ankündigung den Vertrag gekündigt, ohne den Versuch einer Vertragsanpassung zu machen. Die bis dahin erbrachten Leistungen der Beklagten seien für die Zedentin wirtsc...