ZPO § 91 Abs. 1
Leitsatz
- Wenn die Kosten eines Unterbevollmächtigten 10 % der fiktiven Reisekosten des Prozessbevollmächtigten der auswärtigen Partei überschreiten und deshalb nicht erstattet verlangt werden können (BGH NJW 2003, 898 [= AGS 2003, 97]; NJW-RR 2005, 707 [= AGS 2005, 41]), kann die Partei die volle Erstattung der Kosten des Unterbevollmächtigten nicht mit der Begründung verlangen, dass sie aus Ex-ante-Sicht zum Zeitpunkt der Beauftragung des Unterbevollmächtigten davon ausgehen konnte, dass jedenfalls zwei Verhandlungstermine anfallen würden, so dass die Reisekosten ihrer Prozessbevollmächtigten für die zweimalige Anreise höher ausgefallen wären als die Kosten des Unterbevollmächtigten. Für die Kostenerstattung ist eine Ex-post-Betrachtung des tatsächlichen Prozessverlaufs maßgeblich; das Risiko einer unzutreffenden Prognose trägt die Partei, die den Unterbevollmächtigten einschaltet.
- Die Partei kann in diesem Fall aber 110 % der fiktiven Reisekosten ihres Prozessbevollmächtigten erstattet verlangen (wie OLG Frankfurt und KG; gegen OLG Oldenburg).
- Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
OLG Hamburg, Beschl. v. 2.11.2011 – 8 W 71/11
1 Sachverhalt
Der auswärtige Kläger hatte den Beklagte auf Zahlung vor dem LG Hamburg in Anspruch genommen und einen ortsansässigen Anwalt als Prozessbevollmächtigten beauftragt. In dem Verhandlungstermin vor dem LG Hamburg ließ sich der Kläger durch einen Hamburger Unterbevollmächtigten vertreten. Hiernach verhandelten die Prozessbevollmächtigten nochmals untereinander und erzielten einen Vergleich, dessen Zustandekommen das LG sodann feststellte.
Im anschließenden Kostenausgleichsverfahren hat der Kläger unter anderem die Kosten des Unterbevollmächtigten in Höhe von insgesamt 930,82 EUR geltend gemacht. Die fiktiven Kosten für eine Anreise seiner Prozessbevollmächtigten zu dem Termin hat er mit 629,05 EUR beziffert.
Das LG hat die Kosten des Unterbevollmächtigten lediglich in Höhe der fiktiven Reisekosten der Prozessbevollmächtigten des Klägers berücksichtigt.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner sofortigen Beschwerde. Er trägt vor, dass zum Zeitpunkt der Beauftragung des Unterbevollmächtigten erkennbar gewesen sei, dass ein zweiter Verhandlungstermin mit Zeugen erforderlich werden würde. Bei einem weiteren Verhandlungstermin wären durch eine erneute Anreise seiner Prozessbevollmächtigten höhere Kosten entstanden als durch die Beauftragung des Unterbevollmächtigten.
Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde des Klägers hatte teilweise Erfolg.
2 Aus den Gründen
In der Rspr. des BGH ist anerkannt, dass eine Partei, welche an einem auswärtigen Gericht klagt, in der Regel einen an ihrem Wohnort oder Sitz ansässigen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragen darf und dessen Reisekosten als Kosten zweckentsprechender Rechtsverfolgung gem. § 91 Abs. 1 ZPO vom Gegner ersetzt verlangen kann, und zwar grundsätzlich auch dann, wenn diese Reisekosten die Kosten eines Unterbevollmächtigten beträchtlich übersteigen (Beschl. v. 11.12.2007 – X ZB 21/07 [= MDR 2008, 350]; Beschl. v. 28.1.2010 – III ZB 64/09). Entscheidet sich die Partei stattdessen für die Beauftragung eines Unterbevollmächtigten zur Terminsvertretung, sind dessen Kosten nur dann erstattungsfähig, wenn sie um nicht mehr als 10 % die fiktiven Reisekosten des Prozessbevollmächtigten überschreiten (BGH NJW 2003, 898 [= AGS 2003, 97]; NJW-RR 2005, 707 [= AGS 2005, 41]). Hiervon ist auch das LG im vorliegenden Fall ausgegangen und hat lediglich die fiktiven Reisekosten des Prozessbevollmächtigten des Klägers (629,05 EUR) berücksichtigt, weil die Kosten des Unterbevollmächtigten (930,82 EUR) diese um mehr als 10 % übersteigen.
Die letztgenannten Entscheidungen des BGH dürften mit der Kommentierung von Gerold/Schmidt/Müller-Rabe (RVG, 19. Aufl., Nr. 3401 Rn 82) dahingehend zu verstehen sein, dass die Vergleichsberechnung aus der Ex-post-Betrachtung vorzunehmen ist – also anhand der tatsächlich angefallenen Kosten – und nicht aus der Ex-ante-Sicht. Mithin spielt es nach dieser Auffassung und entgegen der Beschwerde im vorliegenden Fall keine Rolle, von welchem Prozessverlauf die Partei ausgehen durfte und ob es aus der Ex-ante-Sicht möglicherweise kostengünstiger gewesen wäre, statt der Anreise des Prozessbevollmächtigten einen Unterbevollmächtigten zu beauftragen; dieser Unsicherheitsfaktor wird über die 10 %ige Toleranzgrenze ausgeglichen, während im Übrigen die Partei das Risiko einer unzutreffenden Prognose trägt (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe a.a.O.). Die Auferlegung dieses Risikos erscheint deshalb nicht unbillig, weil die Partei – wenn sie es vermeiden will – grundsätzlich das Recht hat, ihren Prozessbevollmächtigten auch mehrfach anreisen zu lassen (s.o.).
Allerdings ist es nach Auffassung des Senats konsequent, die 10 %ige Toleranzgrenze auch dann zum Ausgleich des Risikos einer fehlerhaften Prognose der Partei zu bringen, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Kosten des Unterbevollmächtigten die Reisekosten des Prozessbevollmächtigten um mehr als 10...