Leitsatz
- Der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin als Verteidiger beigeordnet worden ist, beschränkt sich nicht auf die Terminsgebühren, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 VV.
- Die Grundgebühr entsteht nach dem gesetzlichen Wortlaut der Anm. Abs. 1 zu Nr. 4100 VV neben der Verfahrensgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt. Somit werden mit der Grundgebühr das erste Gespräch mit dem Mandanten und die Beschaffung der erforderlichen Informationen abgegolten. Spätere sich anschließende Gespräche, die z.B. dem konkreten Aufbau der Verteidigungsstrategie dienen, werden nicht mehr von der Grundgebühr, sondern von der neben der Grundgebühr entstehenden Verfahrensgebühr umfasst.
- Von der Terminsgebühr wird die gesamte Tätigkeit des Pflichtverteidigers im Hauptverhandlungstermin umfasst. Erfasst wird auch die Vorbereitung des konkreten Hauptverhandlungstermins, nicht jedoch die allgemeine Vorbereitung der Hauptverhandlung. Die insoweit erbrachten Tätigkeiten werden von der Verfahrensgebühr abgegolten.
OLG München, Beschl. v. 27.2.2014 – 4c Ws 2/14
1 Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft München I hatte Anklage wegen versuchter Nötigung, wegen Raubs mit gefährlicher Körperverletzung zum AG – Schöffengericht – erhoben. Diese wurde mit Beschluss des AG zur Hauptverhandlung vor dem AG – Schöffengericht – zugelassen. Zugleich bestimmte das AG Termin zur Hauptverhandlung auf Dienstag, 4.6.2013, 9.00 Uhr. Der Termin war mit dem vormaligen Verteidiger des Angeklagten abgesprochen worden.
Mit Schriftsatz vom 4.4.2013 zeigte Rechtsanwalt A unter Vorlage einer Vollmacht die Verteidigung des Angeklagten an, beantragte die Beiordnung als Pflichtverteidiger und die Terminsverlegung, da er sich bis einschließlich 4.6.2013 in seinem seit längerem geplanten Jahresurlaub befinde. Der Antrag auf Terminsverlegung wurde abgelehnt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wurde als unzulässig verworfen.
Mit Schriftsatz vom 28.5.2013 beantragte Rechtsanwalt B, als bestellter Vertreter für Rechtsanwalt A über den Beiordnungsantrag vom 4.4.2013 zu entscheiden. Ferner beantragte er, ihn für den Hauptverhandlungstermin am 4.6.2013 als weiteren Pflichtverteidiger beizuordnen, da Rechtsanwalt A an der Wahrnehmung des Hauptverhandlungstermins am 4.6.2013 verhindert sei. Das AG bestellte mit Verfügung vom 29.5.2013 dem Angeklagten Rechtsanwalt A als Pflichtverteidiger und "für die Verhandlung vom 4.6.2013 ferner Rechtsanwalt B als dessen Vertreter …". An der Hauptverhandlung vom 4.6.2013 nahm Rechtsanwalt B als Verteidiger des Angeklagten teil. Der Angeklagte wurde mit Urteil von diesem Tag verurteilt.
Daraufhin hat Rechtsanwalt B die Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen beantragt. Er hat unter anderem die Festsetzung folgender Beträge beantragt: eine Grundgebühr Nr. 4100 VV, eine Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV, eine Terminsgebühr Nr. 4108 VV und eine Erhöhungsgebühr Nr. 4111 VV, insgesamt einen Gesamtbetrag in Höhe von 912,81 EUR. Zur Begründung der Verfahrensgebühr hat er vorgetragen, er habe sich umfassend in das Verfahren eingearbeitet. Er habe zwei Besprechungstermine mit seinem Mandanten durchgeführt, einen zur Einarbeitung in die Sache und einen zur Vorbereitung der Hauptverhandlung. Mit dem Mandanten sei der gesamte Akteninhalt einschließlich der Zeugenaussagen besprochen worden.
Die Rechtspflegerin des AG hat die von der Staatskasse an den Pflichtverteidiger B zu erstattende Vergütung auf 779,53 EUR festgesetzt. Hierbei hat sie abweichend von dessen Antrag die Verfahrensgebühr in Höhe von 112,00 EUR zuzüglich 19 % Umsatzsteuer in Abzug gebracht.
Hiergegen hat Rechtsanwalt B Erinnerung eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Einarbeitung in den Akteninhalt habe am Abend des 28.5.2013 und die mündliche Besprechung des Akteninhalts am 29.5.2013 stattgefunden. Die Verfahrensgebühr sei durch die Antragstellung auf Beiordnung und durch die Einarbeitung in die Akten angefallen. Die Antragstellung sei nach einer telefonischen Besprechung erfolgt.
Das AG hat auf die Erinnerung den Kostenfestsetzungsbeschluss des AG dahingehend abgeändert, dass eine zusätzliche Vergütung in Höhe von 133,28 EUR festgesetzt wird, und hat die Beschwerde zugelassen.
Daraufhin hat Bezirksrevisor des AG für die Staatskasse Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Verfahrensgebühr sei nicht angefallen. Die Erörterung des Akteninhalts sei durch die Grundgebühr abgegolten. Die Antragstellung zur Beiordnung begründe nicht das Entstehen der Verfahrensgebühr, da der Antrag als bestellter Vertreter des Pflichtverteidigers gestellt worden sei. Auch bei einem Zeugenbeistand, der vergleichbare Gebühren wie ein Pflichtverteidiger erhalte, könne der Antrag auf Beiordnung die Verfahrensgebühr nicht auslösen. Rechtsanwal...