Die Erinnerung ist zulässig. Nach § 55 Abs. 1 RVG wird die aus der Staatskasse zu gewährende anwaltliche Vergütung vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges festgesetzt. Nach § 56 Abs. 1 S. 1 RVG kann gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle das Gericht, bei dem die Festsetzung erfolgt ist, angerufen werden.
Die Erinnerung ist auch begründet.
Anwendbare Gebührenvorschriften
Die Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten bemisst sich nach dem RVG (§ 1 Abs. 1 S. 1 RVG). In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen – wie im vorliegenden Fall – das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, entstehen Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 S. 1 RVG). Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem VV (§ 2 Abs. 2 S. 1 RVG).
Nach dem VV sind die hier maßgeblichen Gebühren wie folgt festgesetzt:
Nr. |
Gebührentatbestand |
Gebühr |
3102 |
Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG) |
50,00 bis 550,00 EUR |
1008 |
Auftraggeber sind in derselben Angelegenheit mehrere Personen: Die Verfahrens- oder Geschäftsgebühr erhöht sich für jede weitere Person um |
0,3 |
(Die an sich nach dem Gesetzeswortlaut vorzunehmende Erhöhung des Mindest- und Höchstbetrages um 30 % wendet die Kammer wegen desselben rechnerischen Ergebnisses nicht an.)
Gebührenrahmen und Billigkeit
Bei Rahmengebühren bestimmt entsprechend § 14 Abs. 1 S. 1 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann nach S. 2 bei der Bemessung herangezogen werden. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist nach S. 3 das Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Ist die Gebühr – wie hier – von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt nach billigem Ermessen getroffene Bestimmung entsprechend S. 4 nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Die Prüfung der Billigkeit obliegt dem Gericht. Maßstab für die Beurteilung der Billigkeit ist dabei ausschließlich das Verhältnis Rechtsanwalt/Auftraggeber. Unerheblich sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des erstattungspflichtigen Dritten.
Die in § 14 Abs. 1 RVG aufgezählten Kriterien sind für die Bemessung der Gebühr gleichwertig heranzuziehen, also:
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Umfang der anwaltlichen Tätigkeit, |
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Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, |
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Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber, |
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Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, |
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Haftungsrisiko. |
Das Kieler Kostenkästchen
Die in § 14 Abs. 1 RVG genannten Kriterien beinhalten ausnahmslos unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe. Der Gesetzgeber hat mit fünf unbestimmten Rechtsbegriffen in einer Anspruchsgrundlage eine Vorschrift geschaffen, die an Subsumtionsanforderungen kaum zu übertreffen ist.
Um die Anwendung der Vorschrift des § 14 Abs. 1 RVG zumindest etwas handhabbarer zu machen, hat die Kostenkammer des SG Kiel das sogenannte "Kieler Kostenkästchen" entwickelt. Dieses stellt kein eigenes dem § 14 RVG entgegenstehendes System dar, sondern bedient sich lediglich bei der Subsumtion der Hilfe der Mathematik. Dazu wandelt das Kieler Kostenkästchen sowohl die vom Gesetzgeber in § 14 Abs. 1 RVG formulierten einzelnen unbestimmten Rechtsbegriffe als auch die darunter erfolgten Subsumtionen in mathematische Werte um. Aus diesen Werten wird unter Zuhilfenahme der Arithmetik ein rechnerisches Gesamtergebnis ermittelt, aus dem sich die Billigkeit der einzelnen Gebühr ableiten lässt (zur grundsätzlichen Systematik des "Kieler Kostenkästchens" vgl. z.B. Beschlüsse der Kammer v. 1.6.2012 – S 21 SF 7/12, S 21 SF 36/12, juris; Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 22. Aufl. 2015, § 3 Rn 10 ff., 22, 69).
Das "Kieler Kostenkästchen" wird für Entscheidungen ab Januar 2016 wie folgt weiterentwickelt:
Als erster Schritt werden die oben genannten Kriterien 1.–5. in fünf Stufen eingeteilt, nämlich
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deutlich unterdurchschnittlich |
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unterdurchschnittlich |
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durchschnittlich |
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überdurchschnittlich |
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deutlich überdurchschnittlich |
Den einzelnen Kriterien 1.–5. ordnet die Kammer sodann einen Wert von je 1–5 Punkten zu, wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich:
Anschließend werden die Punkte für die einzelnen Kriterien addiert. Die sich daraus ergebende Summe wird durch 5 geteilt. Aus dem so ermittelten Quotienten ergibt sich die maximal billige Gebühr. Die Drittelgebühren (1/3, 2/3, 4/3, 5/3) berechnen sich ausgehend von der Mittelgebühr wie folgt: Mittelgebühr minus Mindestgebühr mal x/3 plus Mindestgebühr. Durch diese Berechnung wird eine gleichmäßige Abstufung zwischen den einzelnen Gebührenhöhen erreicht.
Die maximal billigen Gebühren (auf volle EUR-Beträge kaufmännisch gerundet) ergeben sich aus nachfolgender Tabelle:
Anwendung des Kieler Koste...