Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Berücksichtigung des anwaltlichen Haftungsrisikos. Weiterentwicklung des Kieler Kostenkästchens ab 2016. Vergleich mit einem nach Gegenstandswert abzurechnenden Verfahren. Bedeutung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens für den Auftraggeber im Vergleich zum Hauptsacheverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Weiterentwicklung des Kieler Kostenkästchens ab 2016.

Das anwaltliche Haftungsrisiko ist bei der Bemessung der Gebühr zu berücksichtigen.

Zur Beurteilung des anwaltlichen Haftungsrisikos ist ein Vergleich der Höhe der anwaltlichen Vergütung mit einem nach Gegenstandswert abzurechnenden Verfahren durchzuführen.

Ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erreicht für den Auftraggeber nicht die Bedeutung eines Hauptsacheverfahrens.

 

Tenor

Der Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Kiel in dem Verfahren S 31 AS 231/14 ER vom 25.06.2014 wird geändert.

Die aus der Staatskasse zu gewährende anwaltliche Vergütung wird auf 487,90 € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Erinnerungsführer hatte in dem Verfahren … und eine weitere Person (Antragstellerinnen) ./. Jobcenter … (Antragsgegner) am 13.06.2014 wegen der vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für EU-Ausländer für die Zeit vom 13.06.2014 bis zum 30.11.2014 in Höhe von durchschnittlich monatlich etwas unter 500,-- € beim Sozialgericht Kiel einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und Prozesskostenhilfe beantragt. Mit Beschluss der für die Hauptsache zuständigen Kammer wurde Prozesskostenhilfe ab Antragstellung bewilligt. Das Verfahren endete durch den Antrag stattgebenden Beschluss.

Die anwaltliche Vergütung nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV-RVG) wurde wie folgt beantragt und festgesetzt:

Position

VV-RVG Nr.

beantragt in €

festgesetzt in €

Verfahrensgebühr

3102   

300,--

200,--

Erhöhung für weitere Auftraggeber

1008   

90,-- 

60,-- 

Postpauschale

7002   

20,-- 

20,-- 

19 % Umsatzsteuer

7008   

77,90 

53,20 

Gesamt

487,90

333,20

Gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 25.06.2014 richtet sich die mit Schriftsatz vom 02.07.2014 eingelegte Erinnerung. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, das angewandte Kieler Kostenkästchen sei typisierend und pauschal. Dies lasse die Bandbreite des vom Parlamentsgesetzgeber vorgegebenen Rahmens außer Acht und werde den Umständen des Einzelfalls nicht durchgehend und nicht im gesetzlich geforderten Maße hinreichend gerecht (wird weiter ausgeführt).

Der Erinnerungsgegner hält die Festsetzung der Vergütung für zutreffend.

II.

Die Erinnerung ist zulässig. Nach § 55 Abs. 1 RVG wird die aus der Staatskasse zu gewährende anwaltliche Vergütung vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges festgesetzt. Nach §§ 56 Abs. 1 Satz 1 RVG kann gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle das Gericht, bei dem die Festsetzung erfolgt ist, angerufen werden.

Die Erinnerung ist auch begründet.

anwendbare Gebührenvorschriften:

Die Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten bemisst sich nach dem RVG (§1 Abs. 1 Satz 1 RVG). In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie im vorliegenden Fall - das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, entstehen Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem VV-RVG (§ 2 Abs. 2 Satz 1 RVG).

Nach dem VV-RVG sind die hier maßgeblichen Gebühren wie folgt festgesetzt:

Nr.     

Gebührentatbestand

Gebühr

3102   

Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG)

50,00 bis

550,00 €

1008   

Auftraggeber sind in derselben Angelegenheit mehrere Personen:

Die Verfahrens- oder Geschäftsgebühr erhöht sich für jede weitere Person um …

(die an sich nach dem Gesetzeswortlaut vorzunehmende Erhöhung des Mindest- und Höchstbetrages um 30 % wendet die Kammer wegen desselben rechnerischen Ergebnisses nicht an)

0,3     

Gebührenrahmen und Billigkeit:

Bei Rahmengebühren bestimmt entsprechend § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann nach Satz 2 bei der Bemessung herangezogen werden. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist nach Satz 3 das Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Ist die Gebühr - wie hier - von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt nach billigem Ermessen getroffene Bestimmung entsprechend Satz 4 nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Die Prüfung der Billigkeit obliegt dem Gericht. Maßstab für die Beurteilung der Billigkeit ist dabei ausschließlich das Verhältnis Rechtsanwalt/Auftraggeber. Unerheblich sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des erst...

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