Leitsatz
- Zur Weiterentwicklung des Kieler Kostenkästchens ab 2016.
- Das anwaltliche Haftungsrisiko ist bei der Bemessung der Gebühr zu berücksichtigen.
- Zur Beurteilung des anwaltlichen Haftungsrisikos ist ein Vergleich der Höhe der anwaltlichen Vergütung mit einem nach Gegenstandswert abzurechnenden Verfahren durchzuführen.
- Ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erreicht für den Auftraggeber nicht die Bedeutung eines Hauptsacheverfahrens.
SG Kiel, Beschl. v. 4.1.2016 – S 21 SF 167/14 E
1 Sachverhalt
Der Erinnerungsführer hatte zwei Antragstellerinnen vertreten und für sie die vorläufige Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für EU-Ausländer für die Zeit vom 13.6.2014 bis zum 30.11.2014 in Höhe von durchschnittlich monatlich etwas unter 500,00 EUR geltend gemacht. Hierzu hatte er beim SG einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und Prozesskostenhilfe beantragt. Den Antragstellerinnen wurde Prozesskostenhilfe ab Antragstellung bewilligt. Das Verfahren endete durch den dem Antrag stattgebenden Beschluss.
Die anwaltliche Vergütung nach dem Vergütungsverzeichnis wurde wie folgt beantragt und festgesetzt:
Position |
VV Nr. |
beantragt in EUR |
festgesetzt in EUR |
Verfahrensgebühr |
3102 |
300,00 |
200,00 |
Erhöhung für weitere Auftraggeber |
1008 |
90,00 |
60,00 |
Postpauschale |
7002 |
20,00 |
20,00 |
19 % Umsatzsteuer |
7008 |
77,90 |
53,20 |
Gesamt |
|
487,90 |
333,20 |
Gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss richtet sich die Erinnerung. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, das angewandte Kieler Kostenkästchen sei typisierend und pauschal. Dies lasse die Bandbreite des vom Parlamentsgesetzgeber vorgegebenen Rahmens außer Acht und werde den Umständen des Einzelfalls nicht durchgehend und nicht im gesetzlich geforderten Maße hinreichend gerecht (wird weiter ausgeführt).
Der Erinnerungsgegner hält die Festsetzung der Vergütung für zutreffend.
2 Aus den Gründen
Die Erinnerung ist zulässig. Nach § 55 Abs. 1 RVG wird die aus der Staatskasse zu gewährende anwaltliche Vergütung vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges festgesetzt. Nach § 56 Abs. 1 S. 1 RVG kann gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle das Gericht, bei dem die Festsetzung erfolgt ist, angerufen werden.
Die Erinnerung ist auch begründet.
Anwendbare Gebührenvorschriften
Die Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten bemisst sich nach dem RVG (§ 1 Abs. 1 S. 1 RVG). In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen – wie im vorliegenden Fall – das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, entstehen Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 S. 1 RVG). Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem VV (§ 2 Abs. 2 S. 1 RVG).
Nach dem VV sind die hier maßgeblichen Gebühren wie folgt festgesetzt:
Nr. |
Gebührentatbestand |
Gebühr |
3102 |
Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG) |
50,00 bis 550,00 EUR |
1008 |
Auftraggeber sind in derselben Angelegenheit mehrere Personen: Die Verfahrens- oder Geschäftsgebühr erhöht sich für jede weitere Person um |
0,3 |
(Die an sich nach dem Gesetzeswortlaut vorzunehmende Erhöhung des Mindest- und Höchstbetrages um 30 % wendet die Kammer wegen desselben rechnerischen Ergebnisses nicht an.)
Gebührenrahmen und Billigkeit
Bei Rahmengebühren bestimmt entsprechend § 14 Abs. 1 S. 1 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann nach S. 2 bei der Bemessung herangezogen werden. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist nach S. 3 das Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Ist die Gebühr – wie hier – von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt nach billigem Ermessen getroffene Bestimmung entsprechend S. 4 nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Die Prüfung der Billigkeit obliegt dem Gericht. Maßstab für die Beurteilung der Billigkeit ist dabei ausschließlich das Verhältnis Rechtsanwalt/Auftraggeber. Unerheblich sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des erstattungspflichtigen Dritten.
Die in § 14 Abs. 1 RVG aufgezählten Kriterien sind für die Bemessung der Gebühr gleichwertig heranzuziehen, also:
|
Umfang der anwaltlichen Tätigkeit, |
|
Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, |
|
Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber, |
|
Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, |
|
Haftungsrisiko. |
Das Kieler Kostenkästchen
Die in § 14 Abs. 1 RVG genannten Kriterien beinhalten ausnahmslos unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe. Der Gesetzgeber hat mit fünf unbestimmten Rechtsbegriffen in einer Anspruchsgrundlage eine Vorschrift geschaffen, die an Subsumtionsanforderungen kaum zu übertreffen ist.
Um die Anwendung der Vorschrift des § 14 Abs. 1 RVG zumindest etwas handhabbarer zu machen, hat die Kostenkammer des SG K...