RVG § 15a Abs. 2 RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4

Leitsatz

Für die Anrechnung der Geschäftsgebühr ist erforderlich, dass diese wegen desselben Gegenstands entstanden ist. "Derselbe Gegenstand" ist auch bei außergerichtlichen Regulierungsverhandlungen zwischen dem Geschädigten und der Haftpflichtversicherung des Schädigers anzunehmen. Die entstehende Geschäftsgebühr ist in einem solchen Fall auch dann auf eine nachfolgende Verfahrensgebühr anzurechnen, wenn im Prozess lediglich der Versicherungsnehmer, nicht auch der Versicherer in Anspruch genommen wird.

OLG München, Beschl. v. 7.2.2012 – 11 W 90/12

1 Sachverhalt

Die Beklagte wurde nach einer vom Dach ihres Gebäudes abgegangenen Schneelawine wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu Schadensersatzleistungen an die Klägerin verurteilt. Vor Klageerhebung hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Regulierung des Schadens gegenüber der Haftpflichtversicherung der Beklagten geltend gemacht und die hierfür angefallenen Kosten in Höhe von 603,93 EUR in dem ausschließlich gegen die Beklagte geführten gerichtlichen Verfahren als Nebenforderung titulieren lassen.

Im Kostenfestsetzungsverfahren setzte das LG Traunstein die von der Beklagten zu erstattenden Kosten auf 2.065,57 EUR fest. Eine Anrechnung der titulierten vorgerichtlichen Geschäftsgebühr von 487,50 EUR netto auf die geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr von 535,60 EUR netto wurde nicht vorgenommen. Das LG vertrat die Auffassung, die Voraussetzung einer Anrechnung sei nicht erfüllt, da sich das vorprozessuale Begehren und das Gerichtsverfahren gegen zwei unterschiedliche Gegner gerichtet haben.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten. Sie ist der Auffassung, dass der anwaltlichen Tätigkeit derselbe Streitgegenstand zugrunde gelegen habe. Die Rspr. zur Kfz – Haftpflichtversicherung könne auf den hiesigen Fall nicht übertragen werden. Die Gebühr sei auch tituliert worden, so dass eine Anrechnung zu erfolgen habe.

Die Rechtspflegerin hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, sondern die Akten dem Senat zur Entscheidung zugeleitet.

2 Aus den Gründen

Das Rechtsmittel erweist sich als begründet, da die vorprozessual durch die Regulierungsverhandlungen mit dem Bayerischen Versicherungsverband entstandene Geschäftsgebühr auf die im Prozess gegen die Beklagte entstandene Verfahrensgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV, § 15a Abs. 2 RVG anzurechnen ist.

1. Nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV wird eine Geschäftsgebühr nach den Nrn. 2300 bis 2303 VV wegen desselben Gegenstands zur Hälfte, jedoch höchstens mit 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Die im gerichtlichen Verfahren nach der Nr. 3100 VV anfallende 1,3-Verfahrensgebühr vermindert sich entsprechend.

2. Eine Anrechnung kommt in Frage, da selbstständige Gebührenansprüche in verschiedenen Angelegenheiten entstanden sind, wenn der Anwalt einmal vorprozessual und sodann im Prozess tätig wird (Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 19. Aufl., § 15 Rn 7 ff).

a) Für die Anrechnung der Geschäftsgebühr gem. der Vorbem. 3 Abs. 4 VV ist weiter erforderlich, dass diese wegen desselben Gegenstands entstanden ist.

Dies wird verneint, wenn der Anwalt vorprozessual und im Prozess gegen verschiedene Anspruchsgegner vorgeht (AnwK-RVG/Onderka/N. Schneider, 4. Aufl., VV Vorbem. 3 Rn 212); so auch wenn – wie vorliegend – ein Unfallgeschädigter Schadensersatz außergerichtlich nur gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Schädigers geltend macht, dann aber im Prozess allein den Versicherungsnehmer verklagt (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl. Vorbem. 3 VV Rn 193).

Auch der Senat hat in einer derartigen Konstellation früher die Auffassung vertreten, unabhängig vom Innenverhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer sei allein die formal unterschiedliche Parteistellung entscheidend (AnwBl 1990, 325; ebenso OLG Bamberg OLGR 1998, 121). Das LG ist dieser Rechtsauffassung gefolgt.

b) Nach einer Gegenmeinung würde eine Nichtanrechnung der Geschäftsgebühr im Haftpflichtprozess gegen Versicherer und Versicherungsnehmer der versicherungsvertraglichen Bindung zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer nicht genügend Rechnung tragen, wonach der Kfz-Haftpflichtversicherer nach den Allgemeinen Vertragsbedingungen Regulierungsvollmacht habe und als Vertreter des Versicherten Erklärungen in dessen Namen abgeben würde. Nicht nur im gerichtlichen Verfahren, sondern auch bei der vorprozessualen Geltendmachung eines Anspruchs würde deshalb automatisch Versicherungsnehmer und Haftpflichtversicherung in Anspruch genommen, was zu einem engen personellen Zusammenhang der Anspruchsgegner führe, der für die Annahme desselben Gegenstandes ausreiche (OLG Karlsruhe AGS 1994, 43).

c) Der Senat folgt nunmehr für die hier gegebene Fallgestaltung einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der vorgenannten Auffassung, da die wesentlichen Kriterien für die Annahme personeller Identität keine anderen sind als bei einem Kfz-Haftpflichtschaden.

Dem engen Zusammenhang zwischen Versicherung und Versicherungsnehmer ste...

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