Leitsatz (amtlich)
Bei außergerichtlichen Regulierungsverhandlungen zwischen dem Geschädigten und der Haftpflichtversicherung des Schädigers ist die entstehende Geschäftsgebühr auch dann auf eine nachfolgende Verfahrensgebühr anzurechnen, wenn im Prozess lediglich der Versicherungsnehmer, nicht auch der Versicherer in Anspruch genommen wird.
Normenkette
RVG-VV Vorbem. 3 Abs. 4; RVG § 15a Abs. 2
Verfahrensgang
LG Traunstein (Beschluss vom 02.12.2011; Aktenzeichen 6 O 1761/11) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Traunstein vom 2.12.2011 dahingehend abgeändert, dass die von der Beklagtenpartei an die Klagepartei gem. § 104 ZPO nach dem gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbaren Endurteil des LG Traunstein vom 21.9.2011 zu erstattenden Kosten auf 1821,82 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB hieraus seit 11.11.2011 festgesetzt werden.
2. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Beschwerdewert wird auf 243,75 EUR festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Beklagte wurde nach einer vom Dach ihres Gebäudes abgegangenen Schneelawine wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu Schadensersatzleistungen an die Klägerin verurteilt. Vor Klageerhebung hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Regulierung des Schadens gegenüber der Haftpflichtversicherung der Beklagten geltend gemacht und die hierfür angefallenen Kosten i.H.v. 603,93 EUR in dem ausschließlich gegen die Beklagte geführten gerichtlichen Verfahren als Nebenforderung titulieren lassen.
Im Kostenfestsetzungsverfahren setzte das LG Traunstein die von der Beklagten zu erstattenden Kosten auf 2065,57 EUR fest. Eine Anrechnung der titulierten vorgerichtlichen Geschäftsgebühr von 487,50 EUR netto auf die geltend gemachte 1,3 Verfahrensgebühr von 535,60 EUR netto wurde nicht vorgenommen. Das LG vertrat die Auffassung, die Voraussetzung einer Anrechnung sei nicht erfüllt, da sich das vorprozessuale Begehren und das Gerichtsverfahren gegen zwei unterschiedliche Gegner gerichtet habe.
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten. Sie ist der Auffassung, dass der anwaltlichen Tätigkeit derselbe Streitgegenstand zugrunde gelegen habe. Die Rechtsprechung zur Kfz-Haftpflichtversicherung könne auf den hiesigen Fall nicht übertragen werden. Die Gebühr sei auch tituliert worden, so dass eine Anrechnung zu erfolgen habe.
Die Rechtspflegerin hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, sondern die Akten dem Senat zur Entscheidung zugeleitet.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig gem. §§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO. Das Rechtsmittel erweist sich als begründet, da die vorprozessual durch die Regulierungsverhandlungen mit dem Bayerischen Versicherungsverband entstandene Geschäftsgebühr auf die im Prozess gegen die Beklagte entstandenen Verfahrensgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV-RVG, § 15a Abs. 2 RVG anzurechnen ist.
1. Nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV-RVG wird eine Geschäftsgebühr nach den Nr. 2300 bis 2303 wegen desselben Gegenstands zur Hälfte, jedoch höchstens mit 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Die im gerichtlichen Verfahren nach der Nr. 3100 VV-RVG anfallende 1,3 Verfahrensgebühr vermindert sich entsprechend.
2. Eine Anrechnung kommt in Frage, da selbständige Gebührenansprüche in verschiedenen Angelegenheiten entstanden sind, wenn der Anwalt einmal vorprozessual und sodann im Prozess tätig wird (Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 19. Aufl., § 15 Rz. 7 ff.).
a) Für die Anrechnung der Geschäftsgebühr gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG ist weiter erforderlich, dass diese wegen desselben Gegenstands entstanden ist. Dies wird verneint, wenn der Anwalt vorprozessual und im Prozess gegen verschiedene Anspruchsgegner vorgeht (AnwK-RVG/Onderka/N. Schneider, 4. Aufl., VV Vorbem. 3 Rz. 212); so auch wenn - wie vorliegend - ein Unfallgeschädigter Schadensersatz außergerichtlich nur gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Schädigers geltend macht, dann aber im Prozess allein den Versicherungsnehmer verklagt (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl. Vorbem. 3 VV-RVG Rz. 193).
Auch der Senat hat in einer derartigen Konstellation früher die Auffassung vertreten, unabhängig vom Innenverhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer sei allein die formal unterschiedliche Parteistellung entscheidend (Senat AnwBI 90, 325; ebenso OLG Bamberg OLGReport Bamberg 1998, 121). Das LG ist dieser Rechtsauffassung gefolgt.
b) Nach einer Gegenmeinung würde eine Nichtanrechnung der Geschäftsgebühr im Haftpflichtprozess gegen Versicherer und Versicherungsnehmer der versicherungsvertraglichen Bindung zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer nicht genügend Rechnung tragen, wonach der Kfz-Haftpflichtversicherer nach den Allgemeinen Vertragsbedingungen Regulierungsvollmacht habe und als Vertreter des Versicherten Erklärungen in dessen Namen abgeben würde. Ni...