RVG §§ 16 Nr. 4, 15a, 44, 55 GKG § 20

Leitsatz

Wurde bei einem Beratungsschein für "Getrenntleben und Ehescheidung" antragsgemäß zunächst nur eine Gebühr festgesetzt, scheitert die nach der geänderten OLG-Rechtsprechung erfolgte Geltendmachung weiterer Beratungshilfegebühren nicht an Verwirkung (analog § 20 GKG).

OLG Köln, Beschl. v. 22.6.2011 – 17 W 69/11

1 Sachverhalt

Der Antragsteller und Beschwerdeführer war 2006 im Rahmen einer seiner Mandantin bewilligten Beratungshilfe für die Angelegenheit "Getrenntleben und Ehescheidung" tätig. Entsprechend seinem Antrag v. 18.10.2006 wurde seine Vergütung (Geschäftsgebühr und Nebenkosten) mit Beschl. v. 24.10.2006 auf 97,44 EUR festgesetzt.

Unter dem 17.12.2009 beantragte er nachträglich – unter Berufung auf die Rspr. des OLG Düsseldorf (AGS 2009, 79) und des OLG Köln (AGS 2009, 422), wonach die Beratung in Trennungs-, Scheidungs- und Folgesachen nicht nur eine Angelegenheit i.S.d. §§ 2, 6 BerHG, 15 RVG sei – für die Angelegenheiten "Ehegattenunterhalt", "Kindesunterhalt", "Umgangs-/Sorgerecht", "Ehewohnung", "Ehegattenunterhalt" jeweils eine weitere Vergütung in Höhe 99,96 EUR bzw. 42,84 EUR. Der Rechtspfleger als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Amtsgerichts wies die Anträge zurück. Ebenso wies die Amtsrichterin die gegen diese Entscheidung eingelegte Erinnerung zurück. Der darauf eingelegten Beschwerde half sie nicht ab und legte die Sache zur Entscheidung der sofortigen Beschwerde dem LG vor.

Das LG wies die Beschwerde zurück. Es vertritt, wie auch das AG die Auffassung, der Geltendmachung der Ansprüche im Wege der nachträglichen Liquidation stehe in analoger Anwendung des § 20 GKG der Gesichtspunkt der Verwirkung entgegen.

Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller die – vom LG zugelassene – weitere Beschwerde eingelegt.

Die weitere Beschwerde hatte Erfolg.

2 Aus den Gründen

Dem Antragsteller stehen aufgrund des erteilten Berechtigungsscheins für Beratungshilfe gem. § 44 RVG gesonderte Vergütungsansprüche zu, wie sie mit den Anträgen vom 17.12.2009 geltend gemacht worden sind.

Dass dem Antragsteller diese Ansprüche aufgrund der geänderten Rspr. des OLG Köln grundsätzlich zuzubilligen sind, weil die mit dem Berechtigungsschein vom 3.1.2006 gewährte Beratungshilfe sich auf mehrere familienrechtliche Angelegenheiten bezog (vgl. Rspr. OLG Düsseldorf AGS 2009, 79; OLG Köln – 16. Zs. – AGS 2009, 422 ff.; OLG Köln – 17. Zs. – Rpfleger 2010, 378 ff. und 522 ff.), steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit und wird auch von den vorinstanzlichen Entscheidungen nicht in Frage gestellt.

Der Senat teilt nicht die Auffassung des AG und des LG, der Antragsteller sei an der Durchsetzung seiner Ansprüche gehindert.

Zwar handelt es sich bei den Anträgen vom 17.12.2009 um eine Nachliquidation und nicht um die – sieht man von der Verjährung ab – keiner Frist unterliegende erstmalige Anmeldung von Gebührenansprüchen (§ 55 RVG), denn die im Januar 2006 erfolgte antragsgemäße Bescheidung, der keine nach einer einzelnen Angelegenheit spezifizierte Antragstellung zugrunde lag, erfolgte auf der Grundlage der damaligen Rspr. und Rechtspraxis, welche die im gerichtlichen Verfahren zum Verbund gehörenden einzelnen Angelegenheiten auch im Rahmen der Beratungshilfe gem. der Fiktion des § 16 Nr. 4 RVG als einheitliche Angelegenheit ansah.

Soweit der Antragsteller seine Ansprüche mit Anträgen vom 17.12.2009 im Wege der Nachliquidation geltend macht, begegnet dies keinen Bedenken.

Abgesehen davon, dass der damaligen Entscheidung des Rechtspflegers als Urkundsbeamter der Geschäftstelle auf Auszahlung der beantragten Vergütung keine Rechtskraft zukommt (vgl. LSG Niedersachsen AGS 2000, 231; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 5. Aufl., Rn 770), beinhaltet sie auch nicht eine (negative) Entscheidung über die jetzigen Ansprüche, die eine Nachliquidation hindern könnte. Die jetzigen Ansprüche sind nicht geltend gemacht worden und konnten aus den oben genannten Gründen seinerzeit auch nicht erfolgreich geltend gemacht werden.

Der BGH hat mit Beschl. v. 28.10.2010 (VII ZB 15/10) die Nachfestsetzung einer restlichen Verfahrensgebühr, deren Berechtigung sich aus der Neufassung des § 15a RVG ergab, (trotz rechtskräftigem Kostenfestsetzungsbeschluss) für zulässig und begründet gehalten und dazu ausgeführt: "Der Kläger hat insbesondere durch seinen Antrag nicht zum Ausdruck gebracht, dass er eine abschließende, eine Nachforderung ausschließende Entscheidung über die Berücksichtigung der Verfahrensgebühr nur in gekürztem Umfang haben wollte. Allein der Umstand, dass er auf der Grundlage der damals gefestigten Rspr. davon ausging, ihm stünde nur eine gekürzte Gebühr zu, rechtfertigt diese Annahme nicht."

Diese Ausführungen lassen sich uneingeschränkt auf den vorliegenden Fall übertragen.

Soweit das Amts- wie auch das LG die Ansprüche des Antragstellers für verwirkt halten in Analogie zu § 20 GKG, vermag der Senat dieser, auch von der in der angefochtenen Entscheidung zitierten Rspr. u. Lit. geteilten Meinung für den...

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