Nach § 14 Abs. 2 RVG ist im Rechtsstreit ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen, wenn die Höhe des Gebührensatzes einer nach § 14 Abs. 1 RVG vom Anwalt bestimmten Rahmengebühr streitig ist. In der richterlichen Praxis bereitet diese Vorschrift immer wieder Schwierigkeiten.
Häufig wird die Einholung des Kammergutachtens als Beweisaufnahme angesehen und durch Beweisbeschluss angeordnet. Schon dies ist unzutreffend. Das Kammergutachten dient lediglich der Beteiligung der Standesvertretung am Verfahren. Das Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer ist kein Gutachten im Sinne der Beweisvorschriften der ZPO, sondern eine Stellungnahme, die das Gericht bei seiner Entscheidungsfindung zu beachten hat. Das Gericht ist aber keineswegs an das Ergebnis des Kammergutachtens gebunden. Es kann nach freiem Ermessen auch davon abweichen.
Daraus, dass es sich nicht um ein Beweisverfahren handelt, ergibt sich auch zwanglos, dass kein Kostenvorschuss angefordert werden kann, was dennoch aber geschieht, obwohl § 14 Abs. 2 S. 3 RVG ausdrücklich anordnet, dass das Gutachten kostenlos zu erstatten ist.
Darüber hinaus haben viele Gerichte Schwierigkeiten, die zuständige Rechtsanwaltskammer herauszufinden. Zuständig ist nicht etwa die Kammer, in deren Bezirk sich das erkennende Gericht befindet. Zuständig ist die Kammer, der der Anwalt angehört. Dies wird häufig nicht beachtet. So brauchte das AG München (123 C 23860/11) gleich drei Anläufe, um die richtige Rechtsanwaltskammer zu finden. Geklagt hatte ein BGH-Anwalt vor dem AG München auf Honorarzahlung. Das AG München hat zunächst einmal die Rechtsanwaltskammer München angerufen. Nachdem die sich für unzuständig erklärte und darauf hinwies, dass es sich um einen BGH-Anwalt aus Karlsruhe handele, wurde die Rechtsanwaltskammer Karlsruhe beauftragt, die ihrerseits darauf hinwies, dass es eine eigene Rechtsanwaltskammer für Rechtsanwälte am BGH gibt, der dann schließlich der Gutachtenauftrag erteilt wurde.
Ebenso misslich ist, dass viele Gerichte meinen, sie könnten alle möglichen Gebührenfragen auf die Kammer abladen. Sie verkennen, dass das Gutachten nur zum Umfang des ausgeübten Ermessens hinsichtlich eines Gebührensatzes oder Betragsrahmens eingeholt werden darf. Viele Gerichte scheuen aber nicht, die Kammer sogleich auch mit weiteren Gebührenfragen zum Umfang der Angelegenheit und zu Streitwertfragen zu beanspruchen. Noch unbefriedigender ist, dass viele Kammern solchen Ansinnen auch noch nachkommen. So hat z.B. die Rechtsanwaltskammer München in einem Verfahren sich bemüßigt gesehen, umfangreiche Ausführungen zum Umfang der Angelegenheit und zum erteilten Auftrag zu machen und fühlte sich von Amts wegen auch berufen, dem Gericht vorzuschreiben, welcher Umsatzsteuersatz für die Vergütung anzuwenden sei (und das auch noch falsch).
Vielen Gerichten ist nicht bewusst, dass sie der Rechtsanwaltkammer eine konkrete Fallgestaltung vorgeben müssen, wenn der Sachverhalt streitig ist. Die Gerichte müssen erst einmal rechtlich klären, von welcher Angelegenheit oder welchen Angelegenheiten auszugehen ist und welche Rahmengebühren nach ihrer Auffassung entstanden sind. Zu diesen konkreten Gebühren und dem konkret vom Gericht zugrunde gelegten Sachverhalt ist dann das Gutachten zu erstatten.
Ist z.B. streitig, ob einer Geschäftstätigkeit ein oder zwei Angelegenheiten zugrunde liegen, muss die Kammer diese Frage vorher klären, da es für die Gebührenhöhe entscheidend darauf ankommt, ob von einer oder von zwei Angelegenheiten auszugehen ist. Ebenso muss das Gericht streitige Tatsachen zuvor ermitteln. Ist z.B. streitig, ob auch Besprechungen stattgefunden haben, die beim Umfang der Sache zu berücksichtigten sind, muss dies vorab festgestellt und der Rechtsanwaltskammer vorgegeben werden. Es ist keinesfalls Sache einer Rechtsanwaltskammer, den Sachverhalt auszuwerten und zu würdigen.
Der Anwalt sollte daher in einem Honorarprozess unabhängig davon, auf wessen Seite er steht, darauf achten, dass dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer ein konkreter Sachverhalt vorgegeben wird, auf deren Basis das Gutachten erstellt werden kann. Fehlt es an einem konkreten Sachverhalt und einer konkreten Fragestellung an die Rechtsanwaltskammer, muss der Anwalt damit rechnen, dass sich in der Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer Ausführungen zur Rechts- und Tatsachenlage finden, die er eigentlich nicht hören und lesen wollte und seinem Mandanten letztlich zum Nachteil gereichen.
Unterlässt das Gericht die nach § 14 Abs. 2 RVG gebotene Einholung eines Kammergutachtens, kann dies sogar einen schweren Verfahrensmangel darstellen, der zur Aufhebung und Zurückverweisung führt (BVerfG AGS 2002, 148 m. Anm. Madert = NJW-RR 2002, 786 = KostRsp. BRAGO § 12 Nr. 56; OLG Frankfurt AnwBl 1998, 484 = OLGR 1998, 268 = MDR 1998, 800 = JurBüro 1998, 410; OLG Bamberg OLGZ 1976, 351).
Fazit: Der Anwalt sollte sich mit den Gepflogenheiten des Kammergutachtens und der Rolle der Rechtsanwaltskammer auseinandersetzen, ...