Nicht schuldig (zum Teil)!
In dieser Zeitschrift finden sich bekanntlich sehr oft Urteilsanmerkungen – nun sagen wir – der etwas anderen Art. Theaterkritiken nicht ungleich werden hier richterliche Entscheidungen entweder in den höchsten Tönen gelobt oder gnadenlos – oftmals mit beißender Ironie – verrissen. Hierbei wird es als eine Frage der geistigen Hygiene betrachtet, dass bei der Bewertung nicht unterschieden wird zwischen anwaltsfreundlichen oder anwaltsunfreundlichen Fehlentscheidungen, sodass man insoweit trotz mancher Boshaftigkeit jedenfalls eine gewisse Objektivität für sich in Anspruch nehmen kann. Die Entscheidung unserer Richterin v. 5.5.2015 ist wieder eine von jenen, die einen Rechtsanwalt um seine mühsam verdienten Gebühren bringt.
Und so will man sich bei erster unkritischer Durchsicht auf diese arme Richterin stürzen, ihr die Leviten lesen und sie für schuldig erklären einer weiteren Schändung unseres RVG!
Keine Frage, zu der Terminsgebühr des RVG hat es schon immer Fehlentscheidungen gegeben bis in die jüngste Zeit hinein, und zwar auch in den höheren Etagen des Rechts, so dass der Gesetzgeber – wie erst kürzlich mit dem 2. KostRMoG – helfend eingreifen musste. Schon insoweit ist die hier besprochene Entscheidung nur ein kleines Glied einer offensichtlich unendlichen Kette.
Allein für die hiesige Fehlentscheidung trägt die Verantwortung nicht ein Rechtsanwalt, dessen gebührenrechtlicher Inkompetenz eine gutgläubige Richterin folgte, auch nicht eine ahnungslose Richterin, die ihrerseits an den Finessen des anwaltlichen Gebührenrechts scheitert; nein, hier ist das Gericht unschuldig, weil es sich jedenfalls hinsichtlich des dicksten Fehlers vortrefflich exkulpieren kann.
Mit ungläubigem Staunen erfährt man in der Entscheidung, dass eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV nur dann anfallen soll, "wenn neben der vom Kläger vorgetragenen und auch von der Beklagtenseite nicht bestrittenen Klagebeauftragung auch bereits ein Klageentwurf erstellt worden ist." Das Erstaunen verwandelt sich in Entsetzen, wenn zur Rechtfertigung dann entsprechende Ausführungen der RAK München im Internet herangezogen werden.
Die schnelle Prüfung ergibt: Das steht da tatsächlich!!!
Wie die bayerischen Kollegen und Kolleginnen auf diese Idee gekommen sind, erschließt sich dem Leser freilich nicht, denn dem Gesetz, der Gesetzesbegründung oder auch nur der Kommentarliteratur können sie so etwas jedenfalls nicht entnommen haben. Ganz im Gegenteil! Bei der gerichtlichen Verfahrensgebühr verhält es sich wie bei der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV:
Einzig und allein entscheidend ist der Auftrag und allein mit der Auftragserteilung entsteht die entsprechende Gebühr. Erledigt sich der einmal erteilte Auftrag vorschnell, so bleibt dies gem. § 15 Abs. 4 RVG ohne Einfluss auf das Entstehen der Gebühr, wirkt sich bei den Rahmengebühren (Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV) freilich auf die Höhe aus, etwa unter dem Gesichtspunkt des Umfanges und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit.
Da Nr. 3100 VV aber eine Festgebühr ist, die eine Differenzierung auch bei frühzeitigem Ende des Mandates nicht zulässt, hat der Gesetzgeber hier Nr. 3101 VV geschaffen. Endet der nun einmal erteilte Auftrag vorzeitig – und sei es auch nur kurze Zeit nach Auftragserteilung – dann reduziert sich die Gebühr auf 0,8. Außer Auftragserteilung und Auftragsannahme bedarf es dann allerdings keiner weiteren Voraussetzungen und schon gar nicht der Erstellung eines Klageentwurfs.
Nach richtiger Beurteilung hat der Rechtsanwalt hier aber natürlich nicht nur die Gebühr nach Nr. 3101 VV zweifelsfrei verdient, sondern auch die Terminsgebühr und zwar in der Alternative "Vermeidung eines Rechtsstreits". Und hier bewegen sich die Entscheidungsgründe auf einem Niveau eines Besinnungsaufsatzes, wenn darüber sinniert wird, dass Besprechungen aus Rede und Gegenrede bestehen müssen. Nach dieser tiefsinnigen Betrachtung gibt das Gericht sogar noch den Inhalt der Besprechung wieder, um dann zu der überraschenden Schlussfolgerung zu gelangen, wenn der Versicherungsmitarbeiter (also keineswegs stumm wie ein Fisch) das Fehlverhalten seines Unternehmens, nämlich die verzögerte Zahlung, einräume und nunmehr umgehende Zahlung zusichere, dann fehle es an einer Gegenrede.
Nun wird unsere Richterin im Laufe ihres Berufslebens wohl noch lernen müssen, dass die Gründe für die Einschaltung von Gerichten mannigfaltig sind und insbesondere die Klarheit von Haftungsfragen keineswegs verhindert, dass sich die Gerichte hiermit beschäftigen müssen.
Wenn es dem mit einem Klageauftrag ausgerüsteten Rechtsanwalt dann aber einfällt, einen buchstäblich letzten Versuch zur Beilegung der Streitigkeiten zu machen, um die Gerichte zu entlasten, dann wird dieser Versuch – soweit er erfolgreich endet – mit einer Terminsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 3 VV belohnt.
Das hat der Gesetzgeber nun einmal so gewollt, eben um die Gerichte zu entlasten bzw. für deren Entlastung den Anwälten einen Anreiz zu bieten, mögli...