Leitsatz
- Selbstständige, nicht formell verbundene oder als solches getrennte Bußgeldverfahren führen zu mehreren Angelegenheiten bzw. mehreren Rechtsfällen i.S.d. § 15 RVG, unabhängig davon, ob sie in einem Aktenband geführt werden. Der Rechtsanwalt hat deshalb bei einer derartigen Durchführung für jedes dieser Verfahren Anspruch auf gesonderte Gebühren und Auslagen.
- Sofern es im Bereich der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten der Behörde freisteht, mehrere prozessuale Taten in einem Bescheid zu bündeln oder mehrere, jeweils einzeln kostenpflichtige Bescheide zu erlassen, ist diese Entscheidung auch im Bereich der Kostenerstattung nachzuvollziehen.
LG Bonn, Beschl. v. 30.3.2016 – 27 Qs 12/16
1 Sachverhalt
Der Beschwerdeführer ist unter Freispruch im Übrigen wegen zwei der 19 angezeigten Verstöße verurteilt worden. Diese waren Gegenstand der ursprünglichen Bußgeldverfahren 802 OWi 78/15 und 802 OWi 79/15.
Die allesamt unter dem 23.10.2015 durch den Verteidiger des Beschwerdeführers eingereichten Festsetzungsanträge beziehen sich, soweit keine Verurteilung erfolgt ist, hinsichtlich der gesamten Verfahrensauslagen bis zum Urteil durch die Beauftragung des Verteidigers auf das Verfahren 802 OWi 72/15, zu dem alle übrigen Bußgeldverfahren hinzuverbunden worden sind. Im Übrigen beziehen sie sich auf die Verfahrensauslagen durch die Beauftragung des Verteidigers bis zur Anhängigkeit bei dem AG in ebendiesen Verfahren. Insoweit hat der Verteidiger des Beschwerdeführers für das Verfahren 802 OWi 72/15 wie folgt angemeldet:
Grundgebühr (Nr. 5100 VV) |
100,00 EUR |
Verfahrensgebühr Verwaltungsbehörde (Nr. 5101 VV) |
65,00 EUR |
Verfahrensgebühr AG (Nr. 5107 VV) |
65,00 EUR |
Terminsgebühr AG (Nr. 5108 VV) |
130,00 EUR |
Terminsgebühr AG (Nr. 5108 VV) |
130,00 EUR |
Pauschale (Nr. 7002 VV) |
40,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer |
100,70 EUR |
Gesamtbetrag |
630,70 EUR |
Für die Verfahren 802 OWi 73/15 bis 802 OWi 76/15 sowie für die Verfahren 802 OWi 80/15 bis 802 OWi 90/15 hat er jeweils – mithin in 15 Fällen – angemeldet:
Grundgebühr (Nr. 5100 VV) |
100,00 EUR |
Verfahrensgebühr Verwaltungsbehörde (Nr. 5101 VV) |
65,00 EUR |
Verfahrensgebühr AG (Nr. 5107 VV) |
65,00 EUR |
Pauschale (Nr. 7002 VV) |
33,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer |
49,97 EUR |
Gesamtbetrag |
312,97 EUR |
Ein Festsetzungsantrag für das Verfahren 802 OWi 77/15 findet sich in den Akten nicht.
Mit dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.12.2015 hat das AG sodann die zu erstattenden Auslagen insgesamt auf brutto 273,70 EUR festgesetzt. Dabei hat es sämtliche der vorbezeichneten Verfahren als dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG angesehen, so dass es die jeweiligen Verfahrensgebühren als nur ein Mal entstanden erachtet hat. Mit Rücksicht auf die teilweise Verurteilung des Beschwerdeführers in diesem – nach Auffassung des AG – einheitlichen Verfahren hat es der Festsetzung unter Anwendung der Differenzmethode sodann folgende Berechnung zugrunde gelegt:
Grundgebühr (Nr. 5100 VV) |
80,00 EUR |
Verfahrensgebühr AG (Nr. 5101 VV) |
40,00 EUR |
Verfahrensgebühr AG (Nr. 5107 VV) |
40,00 EUR |
Terminsgebühr (Nr. 5108 VV) |
130,00 EUR |
Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer im Wesentlichen mit der Begründung, bis zur Verbindung der Verfahren bei dem AG habe es sich um 19 selbstständige Ordnungswidrigkeitenverfahren gehandelt, die sich jeweils auch auf eigenständige Tatvorwürfe bezogen hätten. Es sei deswegen eine Erstattung in jedem einzelnen Verfahren vorzunehmen. Im Übrigen hält der Beschwerdeführer die Kürzung der Gebühren mit Rücksicht auf die Art und Weise der Verteidigung und die aufwendige Beweisaufnahme für unangemessen.
Die Bezirksrevisorin beim LG hat zu der sofortigen Beschwerde Stellung genommen und unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Kostenfestsetzungsbeschlusses bekräftigt, dass es sich ihrer Auffassung nach auch angesichts der 19 Bußgeldbescheide um eine einzige gebührenrechtliche Angelegenheit handele. Auch sei unter Anwendung der Differenztheorie der seitens des AG errechnete Betrag fiktiver Kosten von 260,00 EUR zutreffend. Mit Beschl. v. 15.3.2016 hat die Rechtspflegerin bei dem AG Bonn der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
2 Aus den Gründen
Die sofortige Beschwerde ist teilweise begründet.
Der Beschwerdeführer kann Erstattung der ihm entstandenen Auslagen in Höhe der Gebühren eines Wahlverteidigers verlangen, wenn er einen Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse hat, § 52 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 RVG. Demnach steht ihm eine Erstattung von in 16 Verfahren geltend gemachten Wahlverteidigergebühren in Höhe von jeweils brutto 107,10 EUR, mithin in einer Gesamthöhe von brutto 1.713,60 EUR zu.
Nach § 15 Abs. 2 S. 1 RVG kann ein Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Vorliegend handelte es sich bei jedem einzelnen Bußgeldverfahren jedoch um eine selbstständige Angelegenheit in diesem Sinne, für welche die Gebühren jeweils gesondert anfallen, vorliegend also 19 Mal. Von den Vorwürfen aus 17 dieser Verfahren ist...