Dass nach Inkrafttreten des 2. KostRMoG mit Wirkung seit dem 1.8.2013 das Vordergericht noch die Auffassung vertreten konnte, die Abgeltungsbereiche von Verfahrens- und Grundgebühr schlössen einander aus, kann nur Rechtsunkenntnis signalisieren: Die Abgrenzung des Abgeltungsbereichs der Grundgebühr zur Verfahrensgebühr war umstritten, ist es aber seit der Klarstellung des Gesetzgebers seit fast einem Jahr nicht mehr. Das LG hat das AG demnach zutreffend korrigiert.
Vor Inkrafttreten des 2. KostRMoG war überwiegend in der Kommentarliteratur angenommen worden, dass sich die Abgeltungsbereiche von Verfahrensgebühr und Grundgebühr gegenseitig ausschließen. Zunächst sollte die Grundgebühr entstehen. Erst wenn der Abgeltungsbereich beendet sei, begann danach der Anwendungsbereich der Verfahrensgebühr. Begründet wurde dies damit, dass die Grundgebühr anderenfalls keinen eigenen Abgeltungsbereich mehr gehabt hätte, weil ja sämtliche Tätigkeiten, die zum Entstehen der Grundgebühr führen, zugleich auch die Verfahrensgebühr auslösen. Der Gesetzgeber habe insoweit gewollt, dass die Grundgebühr einen eigenen Abgeltungsbereich hat, nämlich die Vergütung der erstmaligen Akteneinsicht und der mit der Übernahme des Mandats zusammenhängenden Tätigkeiten. Auch in der Rspr. war dies bis zum Inkrafttreten des 2. KostRMoG überwiegend vertreten worden. Die gegenteilige Auffassung hatte den Gesetzgeber allerdings immer schon richtig verstanden und angenommen, dass bei Einarbeitung in den Fall nicht nur die Grundgebühr, sondern zugleich auch die Verfahrensgebühr entstehe.
Vom Gesetzgeber war von vornherein beabsichtigt, dass Grund- und Verfahrensgebühr zeitgleich anfallen (können). Dies hat er durch die Komplementierung, "die Grundgebühr entsteht neben der Verfahrensgebühr", durch das 2. KostRMoG klargestellt und den Meinungsstreit verabschiedet. Wird ein Mandat bereits während der Einarbeitungsphase beendet, ist dies im Rahmen der Gebührenbemessung nach § 14 Abs. 1 RVG zu berücksichtigen. Bei einem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Anwalt stellt sich die Frage wegen der geregelten Festbeträge nicht.
Beispiel
Der Anwalt wird mit der (Wahl-)Verteidigung in einer Strafsache beauftragt und beantragt Akteneinsicht. Vor Akteneinsichtnahme wird das Mandat beendet.
Neben der Grundgebühr ist die Verfahrensgebühr nach Vorbem. 4 Abs. 2 VV entstanden. Der geringe Umfang der anwaltlichen Tätigkeit bei der Verfahrensgebühr ist nach § 14 Abs. 1 RVG zu berücksichtigen. Bei einer im unteren Bereich anzusetzenden Verfahrensgebühr in Höhe einer halben Mittelgebühr ergibt sich für den Wahlanwalt folgende Berechnung:
1. |
Grundgebühr, Nr. 4100 VV |
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200,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV |
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82,50 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
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302,50 EUR |
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
57,48 EUR |
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Gesamt |
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359,98 EUR |
Der Pflichtverteidiger erhält:
1. |
Grundgebühr, Nr. 4100 VV |
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160,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV |
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132,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
312,00 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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59,28 EUR |
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Gesamt |
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371,28 EUR |
Rechtsanwältin und FAFamR Lotte Thiel, Koblenz
AGS 7/2014, S. 330 - 331