ZPO §§ 91 Abs. 1, 114 S. 1; RVG §§ 48 Abs. 1, 55 Abs. 1
Leitsatz
- Die Erhebung einer neuen Klage anstatt einer kostengünstigeren Erweiterung einer bereits anhängigen Klage ist mutwillig i.S.d § 114 S. 1 ZPO, wenn eine bemittelte Partei keinen begründeten Anlass gehabt hätte, ein gesondertes Verfahren anzustrengen.
- Die Frage, ob ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur kostengünstigeren Rechtsverfolgung vorliegt, kann allerdings nicht im Kostenfestsetzungsverfahren gem. § 55 Abs. 1 RVG geprüft werden (Aufgabe der bisherigen Kammerrechtsprechung im Anschluss an die Entscheidungen des BAG v. 17.2.2011 – 6 AZB 3/11 – u. v. 8.9.2011 – 3 AZB 46/10). So auch schon Kammerbeschluss von 2.11.2011 – 13 Ta 369/11.
LAG Hessen, Beschl. v. 14.11.2011 – 13 Ta 372/11
1 Sachverhalt
Am 21.6.2010 erhob die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, vor dem ArbG Klage wegen einer ihr erklärten Kündigung vom 11.6.2010 und auf Weiterbeschäftigung (2 Ca 295/10).
Am 23.6.2010 erhob die Klägerin, wieder vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, eine weitere Klage auf Entfernung dreier Abmahnungen aus ihrer Personalakte (2 Ca 298/10).
Nach einem Urteil des ArbG im erstgenannten Verfahren kam es in der Berufungsinstanz am 8.2.2011 (19 Sa 751/10) zu einem Prozess beendenden Vergleich, der (u.a.) den Rechtsstreit 2 Ca 298/10 mit erledigte.
In beiden Rechtsstreiten war der Klägerin für den ersten Rechtszug antragsgemäß Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten bewilligt worden.
Am 7.2.2011 bzw. 3.3.2011 beantragte der Klägervertreter Kostenfestsetzung gegenüber der Staatskasse für beide Verfahren in Höhe von 788,38 bzw. 755,65 EUR. Nach entsprechendem Hinweis setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle am 23.3.2011 die Kosten auf 321,30 fest unter Berücksichtigung eines schon gezahlten Vorschusses in Höhe von 755,65 und unter Zusammenrechnung der Streitwerte der beiden Verfahren aus der Erwägung, dass eine Klageerweiterung statt Erhebung einer neuen Klage der kostengünstigere Weg der Rechtsverfolgung gewesen wäre.
Hiergegen legte der Klägervertreter Erinnerung ein, der weder die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle noch das ArbG abhalfen. Dagegen wiederum legte der Klägervertreter Beschwerde ein, der das ArbG nicht abgeholfen hat. Es hat die Sache vielmehr dem LAG zur Entscheidung vorgelegt, das der Beschwerde stattgegeben hat.
2 Aus den Gründen
Der Klägervertreter kann verlangen, dass die beiden Verfahren 2 Ca 295/10 und 2 Ca 298/10 des ArbG getrennt abgerechnet aus der Staatskasse vergütet werden.
In beiden Rechtsstreiten ist der Klägerin jeweils Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr ihr Prozessbevollmächtigter beigeordnet worden. Dies hat die Beschwerdekammer gem. § 48 Abs. 1 RVG hinzunehmen. Die Beschwerdekammer sieht sich nicht mehr in der Lage, die dadurch entstandenen Mehrkosten durch die Addition der Streitwerte beider Verfahren und eine gemeinsame Abrechnung zu kompensieren.
Die Beschwerdekammer hat ihre bislang anderslautende Rspr. dazu kürzlich aufgegeben (vgl. Beschl. v. 2.11.2011 – 13 Ta 369/11). Sie schließt sich jetzt im Sinne einer einheitlichen Rechtsanwendung der Auffassung des BAG aus dessen Beschlüssen v. 17.2.2011 – 6 AZB 3/11, NZA 2011, 422 u. v. 8.9.2011 – 3 AZB 46/10, NJW 2011, 3160 an.
Richtig bleibt allerdings immer noch der Grundsatz, dass die Parteien gem. § 91 ZPO gehalten sind, die Kosten des Verfahrens angemessen niedrig zu halten. Dies gilt umso mehr in, wenn – wie hier – die Kosten für beigeordnete Rechtsanwälte aus öffentlichen Mitteln zu tragen sind (vergleiche zuletzt Kammerbeschl. v. 11.1.2011 – 13 Ta 496/10 m.w.Nachw.). Jede Partei ist gehalten, solche zumutbaren und Kosten sparenden prozessualen Möglichkeiten wahrzunehmen, die sie auch wahrnehmen würde, wenn sie "aus eigener Tasche" prozessieren würde.
Wenn daher eine bemittelte Partei, die vernünftig abwägt und die möglichen Kostenfolgen berücksichtigt, begründeten Anlass gehabt hätte, ein gesondertes Verfahren anhängig zu machen statt eine bereits anhängige Klage zu erweitern, ist diese Möglichkeit auch der unbemittelten Partei zu eröffnen. Dabei können sich insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer effektiven Rechtsverfolgung sachliche Gründe ergeben, eine gesonderte Klage zu erheben statt eine bereits anhängige Klage zu erweitern In der Regel wird die Vermeidung der Überfrachtung eines Verfahrens durch eine Vielzahl inhaltlich nicht miteinander zusammenhängender Streitgegenstände berechtigten Anlass geben, eine gesonderte Klage zu erheben. Die Gefahr einer sonstigen Überlastung des Rechtsstreits kann ebenfalls dafür sprechen, mehrere Rechtsstreitigkeiten anhängig zu machen. So wird es oft liegen, wenn die Entscheidung über verschiedene Streitgegenstände zwar voneinander abhängt, sich aber hinsichtlich der nachrangigen Streitgegenstände besondere Probleme stellen. Auch eine Prozesspartei, die Kosten selbst zu tragen hat, wird vernünftigerweise ein neues Verfahren anhängig machen, wenn durch die Klageerweiterung eine unangemessene Verzögerung der Entscheidung...