Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenerstattung. Mutwilligkeit. Prozesskostenhilfe
Leitsatz (amtlich)
Die Erhebung einer neuen Klage anstatt einer kostengünstigeren Erweiterung einer bereits anhängigen Klage ist mutwillig im Sinne des § 114 Satz 1 ZPO, wenn eine bemittelte Partei keinen begründeten Anlass gehabt hätte, ein gesondertes Verfahren anzustrengen.
Die Frage, ob ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur kostengünstigeren Rechtsverfolgung vorliegt, kann nicht im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 55 Abs. 1 RVG geprüft werden. (Aufgabe der bisherigen Kammerrechtsprechung im Anschluss an die Entscheidungen des BAG vom 17. Februar 2011 – 6 AZB 3/11 – und vom 08. September 2011 – 3 AZB 46/10 –). So auch schon Kammerbeschluss von 02. November 2011 – 13 Ta 369/11 –.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 1, § 114 S. 1; RVG § 48 Abs. 1, § 55 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Beschluss vom 26.07.2011; Aktenzeichen 2 Ca 298/10) |
ArbG Darmstadt (Beschluss vom 23.03.2011; Aktenzeichen 2 Ca 298/10) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägervertreters wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 26. Juli 2011 – 2 Ca 295/10 und 2 Ca 298/10 – abgeändert und der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23. März 2011 aufgehoben. Der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle wird aufgegeben, die Kostenfestsetzungsanträge des Klägervertreters vom 7. Februar 2011 (2 Ca 295/10) und vom 3. März 2011 (2 Ca 298/10) unter Berücksichtigung der rechtlichen Erwägungen des vorliegenden Beschlusses neu zu bescheiden.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Tatbestand
I.
Am 21. Juni 2010 erhob die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, vor dem Arbeitsgericht Klage wegen einer ihr erklärter Kündigung vom 11. Juni 2010 und auf Weiterbeschäftigung (2 Ca 295/10).
Am 23. Juni 2010 erhob die Klägerin, wieder vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, eine weitere Klage auf Entfernung dreier Abmahnungen aus ihrer Personalakte (2 Ca 298/10).
Nach einem Urteil des Arbeitsgerichts im erstgenannten Verfahren kam es in der Berufungsinstanz am 8. Februar 2011 (19 Sa 751/10) zu einem prozessbeendenden Vergleich, der (u. a.) den Rechtsstreit 2 Ca 298/10 miterledigte.
In beiden Rechtsstreiten war der Klägerin für den ersten Rechtszug antragsgemäß Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten bewilligt worden.
Am 7. Februar 2011 bzw. 3. März 2011 beantragte der Klägervertreter Kostenfestsetzung gegenüber der Staatskasse für beide Verfahren in Höhe von 788,38 EUR bzw. 755,65 EUR. Nach entsprechendem Hinweis setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle am 23. März 2011 die Kosten auf 321,30 EUR fest unter Berücksichtigung eines schon gezahlten Vorschusses in Höhe von 755,65 EUR und unter Zusammenrechnung der Streitwerte der beiden Verfahren aus der Erwägung, dass eine Klageerweiterung statt Erhebung einer neuen Klage der kostengünstigere Weg der Rechtsverfolgung gewesen wäre.
Hiergegen legte der Klägervertreter am 29. März 2011 „Rechtsmittel” ein, dem, als Erinnerung verstanden, weder die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle noch das Arbeitsgericht abhalfen, Letzteres durch Beschluss vom 26. Juli 2011. Nach dessen Zustellung am 3. August 2011 legte der Klägervertreter dagegen am 17. August 2011 Beschwerde ein, der das Arbeitsgericht am 19. Oktober 2011 nicht abgeholfen hat. Es hat die Sache vielmehr dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen des weiteren Vorbringens im Beschwerdeverfahren wird auf den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde des Klägervertreters gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 26. Juli 2011 ist gemäß den §§ 56, 33 Abs. 3 bis 8 RVG statthaft und nach form- und fristgerechter Einlegung auch im Übrigen zulässig (§ 33 Abs. 3 RVG). Der Beschwerdewert von mehr als 200 EUR (§ 33 Abs. 3 S. 1 RVG) ist überschritten.
Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde des Klägervertreters nicht abgeholfen.
Die Beschwerde ist begründet.
Der Klägervertreter kann verlangen, dass die beiden Verfahren 2 Ca 295/10 und 2 Ca 298/10 des Arbeitsgerichts Darmstadt getrennt abgerechnet aus der Staatskasse vergütet werden.
In beiden Rechtsstreiten ist der Klägerin jeweils Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr ihr Prozessbevollmächtigter beigeordnet worden. Dies hat die Beschwerdekammer gemäß § 48 Abs. 1 RVG hinzunehmen. Die Beschwerdekammer sieht sich nicht mehr in der Lage, die dadurch entstandenen Mehrkosten durch die Addition der Streitwerte beider Verfahren und eine gemeinsame Abrechnung zu kompensieren.
Die Beschwerdekammer hat ihre bislang anderslautende Rechtsprechung dazu kürzlich aufgegeben (vergl. Beschluss vom 2. November 2011 – 13 Ta 369/11 –). Sie schließt sich jetzt im Sinne einer einheitlichen Rechtsanwendung der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts aus dessen Beschlüssen vom 17. Februar 2011 – 6 AZB 3/11 –, NZA 2011, 422 und vom 8. September 2011 – 3 AZB 46/10 –, NJW 2011, 3160 an (vergl. dazu auch Mayer, FD-RVG 2011, 316014).
Richtig ...