Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenfestsetzung. Mutwilligkeit. Prozesskostenhilfe. Mutwilligkeit bei Klageerhebung anstelle einer Klageerweiterung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Erhebung einer neuen Klage anstatt einer kostengünstigeren Erweiterung einer bereits anhängigen Klage ist mutwillig im Sinne des § 114 Satz 1 ZPO, wenn eine bemittelte Partei keinen begründeten Anlass gehabt hätte, ein gesondertes Verfahren anzustrengen.

Die Frage, ob ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur kostengünstigeren Rechtsverfolgung vorliegt, kann nicht im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 55 Abs. 1 RVG geprüft werden. (So auch schon Kammerbeschlüsse vom 02. November 2011 - 13 Ta 369/11 - und vom 14. November 2011 - 13 Ta 372/11.)

 

Normenkette

ZPO § 91 Abs. 1, § 114 S. 1; RVG § 48 Abs. 1, § 55 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 08.09.2011; Aktenzeichen 11 Ca 1781/11)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägervertreters wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 8. September 2011 - 11 Ca 1781/11 - abgeändert und der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. Juli 2011 aufgehoben. Der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle wird aufgegeben, die Kostenfestsetzungsanträge des Klägervertreters vom 26. Mai 2011 (11 Ca 1781/11 und 11 Ca 2146/11) unter Berücksichtigung der rechtlichen Erwägungen des vorliegenden Beschlusses neu zu bescheiden.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Am 3. Mai 2011 schlossen die Parteien in dem Rechtsstreit 11 Ca. 2146/11 des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main einen prozessbeendenden Vergleich, mit dem auch der Parallelrechtsstreit 11 Ca 1781/11 erledigt wurde. In beiden Rechtsstreiten war dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt worden. Am 26. Mai 2011 beantragte der Klägervertreter in beiden Rechtsstreiten Kostenfestsetzung aus der Staatskasse in Höhe von 661,28 € und 1134,31 €. Am 6. Juli 2011 erließ die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle einen Kostenfestsetzungsbeschluss über 1211,66 € für beide Verfahren gemeinsam nach Addition der Streitwerte beider Verfahren.

Hiergegen legte der Klägervertreter am 2. August 2011 "sofortige Beschwerde" ein, der die Urkundsbeamtin ebenso wenig abhalf wie - als Erinnerung verstanden - das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 8. September 2011. Nach dessen Zustellung am 15. September 2011 und nochmals am 29. September 2011 legte der Klägervertreter unter dem 21. September 2011 Beschwerde ein, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat. Es hat die Sache vielmehr dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen des weiteren Vorbringens im Beschwerdeverfahren wird auf den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.

II. Die Beschwerde des Klägervertreters gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 8. September 2011 ist gemäß den §§ 56, 33 Abs. 3 bis 8 RVG statthaft und nach form- und fristgerechter Einlegung auch im Übrigen zulässig (§ 33 Abs. 3 RVG). Der Beschwerdewert von mehr als 200 € (§ 33 Abs. 3 S. 1 RVG) ist überschritten.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde des Klägervertreters nicht abgeholfen.

Die Beschwerde ist begründet.

Der Klägervertreter kann verlangen, dass die beiden Verfahren 11 Ca 2146/11 und 11 Ca 1781/11 des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main getrennt abgerechnet aus der Staatskasse vergütet werden.

In beiden Rechtsstreiten ist dem Kläger jeweils Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm sein Prozessbevollmächtigter beigeordnet worden. Dies hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle und die Beschwerdekammer gemäß § 48 Abs. 1 RVG hinzunehmen. Die Beschwerdekammer sieht sich nicht mehr in der Lage, die dadurch entstandenen Mehrkosten durch die Addition der Streitwerte beider Verfahren und eine gemeinsame Abrechnung zu kompensieren.

Die Beschwerdekammer hat ihre bislang anderslautende Rechtsprechung dazu bereits 2011 aufgegeben (vergl. Beschlüsse vom 2. November 2011 - 13 Ta 369/11 - und vom 14. November 2011, - 13 Ta 372/11 -). Sie hat sich im Sinne einer einheitlichen Rechtsanwendung der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts aus dessen Beschlüssen vom 17. Februar 2011 - 6 AZB 3/11 -, NZA 2011, 422 und vom 8. September 2011 - 3 AZB 46/10 -, NJW 2011, 3160 angeschlossen (vergl. dazu auch Mayer, FD-RVG 2011, 316014).

Richtig bleibt allerdings immer noch der Grundsatz, dass die Parteien gemäß § 91 ZPO gehalten sind, die Kosten des Verfahrens angemessen niedrig zu halten. Dies gilt umso mehr in, wenn - wie hier - die Kosten für beigeordnete Rechtsanwälte aus öffentlichen Mitteln zu tragen sind. Jede Partei ist gehalten, solche zumutbaren und Kosten sparenden prozessualen Möglichkeiten wahrzunehmen, die sie auch wahrnehmen würde, wenn sie "aus eigener Tasche" prozessieren würde.

Wenn daher eine bemittelte Partei, die vernünftig abwägt und die möglichen Kostenfolgen berücksichtigt, begründeten Anlass gehabt hätte, ein gesondertes Verfahren anhängig zu machen statt eine bereits anhängige Klage zu erweitern, ist diese Möglichkeit ...

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