Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenerstattung. Mutwilligkeit. Prozesskostenhilfe

 

Leitsatz (amtlich)

Die Erhebung einer neuen Klage anstatt einer kostengünstigeren Erweiterung einer bereits anhängigen Klage ist mutwillig im Sinne des § 114 Satz 1 ZPO, wenn eine bemittelte Partei keinen begründeten Anlass gehabt hätte, ein gesondertes Verfahren anzustrengen.

Die Frage, ob ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur kostengünstigeren Rechtsverfolgung vorliegt, kann nicht im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 55 Abs. 1 RVG geprüft werden.

(Aufgabe der bisherigen Kammerrechtsprechung im Anschluss an die Entscheidungen des BAG vom 17. Februar 2011 – 6 AZB 3/11 – und vom 08. September 2011 – 3 AZB 46/10 –).

 

Normenkette

ZPO § 114 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Gießen (Beschluss vom 05.08.2011; Aktenzeichen 5 Ca 341/10)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägervertreters wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Gießen vom 5. August 2011 – 5 Ca 341/10 – abgeändert und der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13. Juli 2011 aufgehoben. Der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle wird aufgegeben, die Kostenfestsetzungsanträge des Klägervertreters vom 28. März 2011 (5 Ca 389/10) und vom 6. April 2011 (5 Ca 341/10) unter Berücksichtigung der rechtlichen Erwägungen des vorliegenden Beschlusses neu zu bescheiden.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Tatbestand

I.

Am 18. Oktober 2010 erhob der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, vor dem Arbeitsgericht Klage wegen zweier ihm erklärter Kündigungen vom 30. September 2010 und wegen restlicher Vergütung aus der Zeit vom 26. Juli 2010 bis 23. August 2010 in Höhe von 385 EUR brutto (5 Ca 341/10).

Am 2. Dezember 2010 erhob der Kläger, wieder vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, eine weitere Klage wegen einer Kündigung vom 18. November 2010 (5 Ca 389/10). Im Kammertermin vom 15. März 2011 in der Sache 5 Ca 341/10 schlossen die Parteien einen prozessbeendenden Vergleich, der beide Rechtsstreite erledigte.

In beiden Rechtsstreiten wurde dem Kläger am 17. März 2011 antragsgemäß Prozesskostenhilfe bewilligt unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten.

Am 28. März 2011 und 6. April 2011 beantragte der Klägervertreter Kostenfestsetzung gegenüber der Staatskasse für beide Verfahren in Höhe von 1400,63 EUR und 502,78 EUR. Nach entsprechendem Hinweis setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle am 13. Juli 2011 die Kosten auf 1463,11 EUR fest. Die Kürzung ergab sich aus der gemeinsamen Abrechnung beider Verfahren nach Addition der Streitwerte aus der Erwägung, dass eine Klageerweiterung statt Erhebung einer neuen Klage der kostengünstigere Weg der Rechtsverfolgung gewesen wäre.

Hiergegen legte der Klägervertreter am 26. Juli 2011 „sofortige Beschwerde” ein, der, als Erinnerung verstanden, weder die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle noch das Arbeitsgericht abhalfen, Letzteres durch Beschluss vom 5. August 2011. Nach dessen Zustellung am 15. August 2011 legte der Klägervertreter dagegen am 26. August 2011 Beschwerde ein, der das Arbeitsgericht am 29. August 2011 nicht abgeholfen hat. Es hat die Sache vielmehr dem Hessischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen des weiteren Vorbringens im Beschwerdeverfahren wird auf den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde des Klägervertreters gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Gießen vom 5. August 2011 ist gemäß den §§ 56, 33 Abs. 3 bis 8 RVG statthaft und nach form- und fristgerechter Einlegung auch im Übrigen zulässig (§ 33 Abs. 3 RVG). Der Beschwerdewert von mehr als 200 EUR (§ 33 Abs. 3 S. 1 RVG) ist überschritten.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde des Klägervertreters nicht abgeholfen.

Die Beschwerde ist begründet.

Der Klägervertreter kann verlangen, dass die beiden Verfahren 5 Ca 341/10 und 5 Ca 389/10 des Arbeitsgerichts Gießen getrennt abgerechnet und aus der Staatskasse vergütet werden.

In beiden Rechtsstreiten ist dem Kläger jeweils Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm sein Prozessbevollmächtigter beigeordnet worden. Dies hat die Beschwerdekammer gemäß § 48 Abs. 1 RVG hinzunehmen. Die Beschwerdekammer sieht sich nicht mehr in der Lage, die dadurch entstandenen Mehrkosten durch die Addition der Streitwerte beider Verfahren und eine gemeinsame Abrechnung zu kompensieren.

Die Beschwerdekammer gibt ihre bislang anderslautende Rechtsprechung dazu auf (vergl. zuletzt Beschluss vom 11. Januar 2011 – 13 Ta 496/10 – m.w.N.). Sie schließt sich jetzt im Sinne einer einheitlichen Rechtsanwendung der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts aus dessen Beschlüssen vom 17. Februar 2011 – 6 AZB 3/11 –, NZA 2011, 422 und vom 8. September 2011 – 3 AZB 46/10 –, NJW 2011, 3160 an (vergl. dazu auch Mayer, FD-RVG 2011, 316014).

Richtig bleibt allerdings immer noch der Grundsatz, dass die Parteien gemäß § 91 ZPO gehalten sind, die Kosten des Verfahrens angemessen niedrig zu halten. Dies gilt umso mehr in, wenn – wie hier – die Kosten für beigeordnete Rechtsanwälte aus öffentlich...

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