Judex non calculat, der Richter rechnet nicht, bringt sicherlich zum einen den Grundsatz zum Ausdruck, dass sich Gerechtigkeit nicht durch Rechnen ermitteln lässt, und zum anderen soll dies sicherlich auch bedeuten, dass Berechnungen im Urteil nicht in Rechtskraft erwachsen und jederzeit geändert werden können (§ 319 Abs. 1 ZPO).
Scherzhaft taucht dieser Begriff aber immer auch dort auf, wo man Richtern unterstellt, sie könnten nicht rechnen oder ließen die wirtschaftlichen Folgen ihrer Urteile außer Betracht.
Betrachtet man die aktuelle und höchst unterschiedliche Rspr. zu den Gegenstandswerten beim Widerruf von Verbraucherdarlehnsverträgen, so wird dem einen oder anderen Verbraucher allerdings das Lachen im Halse stecken bleiben.
Bis Ende Juni 2016 ließ das Gesetz es bekanntlich zu, Verbraucherkreditverträge auch noch nach vielen Jahren zu widerrufen, wenn es das Bankinstitut fahrlässig unterlassen hatte, eine Widerrufsbelehrung gegenzeichnen zu lassen oder sich Fehler in der Widerrufsbelehrung finden ließen.
Nicht nur Verbraucher, sondern auch Anwaltskanzleien sahen aufgrund dieser Gesetzeslage ihre große Stunde gekommen, als die Kreditzinsen geradezu dramatisch – je nach Sichtweise – sanken und sich nunmehr die Chance eröffnete, sich aus dem damaligen Finanzierungsengagement relativ problemlos zu lösen, um einen neuen Kreditvertrag mit wesentlich niedrigeren Zinsen abschließen zu können. Die Begeisterung der Kreditinstitute hielt sich in Grenzen, und die meisten Banken ließen es auf einen Prozess ankommen, den sie dann nicht selten verloren oder mit einem Vergleich abschließen mussten.
Waren die hier betroffenen Verbraucher und Mandanten anwaltlich gut beraten und vertreten worden, so ließen sich in der Tat im Einzelfall sogar sehr beachtliche Zinsreduzierungen herbeiführen.
Insbesondere war es natürlich Aufgabe der mandatierten Rechtsanwälte, ihren Mandanten vor Augen zu führen, dass der erfolgreiche Widerruf eines Darlehnsvertrages nicht zu einer "Entschuldung", sondern im besten Fall zu einer allerdings lukrativen Umschuldung führte, da das seinerzeit als Darlehn gewährte Kapital – ohne die Zinsen – natürlich zurückgeführt werden musste.
Ohne eine gesicherte Anschlussfinanzierung und eine entsprechende Zusage des nachfolgenden Kreditinstitutes stellte sich der Widerruf eines laufenden Darlehnsvertrages für den betroffenen Mandanten ansonsten als ein finanzielles Desaster und für die Anwaltskanzlei als veritabler Regressfall dar.
Das hier einzig und allein interessierende wirtschaftliche Interesse des betroffenen Verbrauchers war also ersichtlich bei richtiger Betrachtung und Beratung nicht darauf gerichtet, von der bestehenden Darlehnsrückzahlungsverpflichtung befreit zu werden, sondern günstigere Zinsen zu erlangen.
Bei dieser Betrachtung verstand es sich dann eigentlich von selbst, den Anwaltsgebühren und auch den Gerichtskosten bei entsprechenden Mandaten nicht den Nominalwert des Darlehns, sondern den für die Darlehnslaufzeit ermittelten Zinsvorteil zugrunde zu legen.
Eine Reihe von Entscheidungen und auch die Kommentierung berücksichtigen diesen unter wirtschaftlicher Betrachtungsweise allein maßgeblichen Gesichtspunkt (judex calculat!) und ermöglicht es auch nicht rechtsschutzversicherten Mandanten, zu einem – überschaubaren – Prozessrisiko die Frage der Wirksamkeit eines Widerrufs klären zu lassen.
Der BGH folgte dieser wirtschaftlich vernünftigen und verbraucherfreundlichen Rspr. allerdings nur sehr eingeschränkt, als er in einer Entscheidung vom 12.1.2016 dem durch den – erfolgreichen – Widerruf zustande gekommenen Rückabwicklungsverhältnis dadurch Rechnung tragen wollte, dass als Gegenstandswert jene Beträge zugrunde zu legen seien, die der Darlehnsnehmer bis dato an Zinsen und Tilgung (!!!) an die Bank erbracht hatte.
Soweit die Bank Zinsen erhalten hatte, ist diese Überlegung noch nachvollziehbar, erfolgten die Zinszahlungen durch den Darlehnsnehmer bei einem wirksamen Widerruf doch ohne Rechtsgrund, waren einer Kondiktion zugänglich und konnten somit mit dem Darlehnsrückzahlungsanspruch der Bank verrechnet werden.
Weniger überzeugend ist hingegen die Mitberücksichtigung der Tilgungsraten, die der BGH wohl als ein – ebenfalls dann ohne Rechtsgrund – gewährtes Darlehn an die Bank gewertet wissen will. Diese Konstruktion erscheint insoweit recht kühn, als der Darlehnsnehmer mit den Tilgungsraten ja nicht aus Eigenkapital der Bank ein Darlehn zur Verfügung stellt, sondern absprachegemäß das zuvor von der Bank erst erhaltene Kapital zurückzahlt. Und wirtschaftlich gesehen belegt ja auch die Situation nach erfolgter Rückabwicklung, dass allenfalls die rechtsgrundlos gezahlten und insoweit dem Darlehnsnehmer rückzugewährenden Zinsen maßgeblich sind.
Wer bei einem Verbraucherdarlehn in Höhe von 100.000,00 EUR zum Zeitpunkt des Widerrufs des Vertrages 10.000,00 EUR getilgt und 3.000,00 EUR an Zinsen gezahlt haben mag, muss der Bank aufgrund der vorzunehmenden Verrechnung 87.000,00 EUR zurückzahlen, so...