RVG VV Nr. 7000; RVG §§ 46 Abs. 1, 55; ZPO §§ 104 Abs. 2 S. 1, 294
Leitsatz
Bezüglich der Erforderlichkeit von Auslagen, zu denen auch die Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Nr. 1 Buchst. a) VV gehört, enthält § 46 Abs. 1 RVG eine Sonderregelung für die Vergütung beigeordneter Rechtsanwälte aus der Staatskasse. Diese begründet eine Beweislast für die Staatskasse, dass Auslagen zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Partei nicht erforderlich waren. Ein Anscheinsbeweis gegen die Erforderlichkeit kann aber die Darlegungs- und Beweislast von der Staatskasse auf den Rechtsanwalt verlagern. Anderenfalls muss die Staatskasse, wenn sie ihre Erstattungspflicht bestreiten will, konkrete Gründe für die aus ihrer Sicht fehlende Erforderlichkeit benennen. Die Prüfung, ob die Auslagen erforderlich waren, ist dann unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.
LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.4.2020 – L 39 SF 219/17 B E
1 Sachverhalt
Die Antragstellerin begehrt als beigeordnete Rechtsanwältin eine höhere Vergütung aus der Landeskasse nach dem RVG.
In dem Ausgangsverfahren S 100 AS 1259/15 erhob der spätere Mandant der Antragstellerin – ein syrischer Staatsangehöriger, der mit seinen fünf Familienangehörigen laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezog – am 19.1.2015 zunächst selbstständig in der Rechtsantragstelle des SG eine Klage, die sich gegen einen Bescheid v. 27.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 9.1.2015 richtete, mit welchem der Grundsicherungsträger von ihm die Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Leistungen i.H.v. 2.110,08 EUR forderte, und zwar mit der Begründung, der Mandant habe die Rechtswidrigkeit der Zahlung jedenfalls grob fahrlässig nicht erkannt. In der Niederschrift des Urkundsbeamten heißt es, dass im Falle einer mündlichen Verhandlung ein Dolmetscher für die kurdische Sprache notwendig sei. Mit einem Schriftsatz v. 25.8.2015 meldete sich die Antragstellerin unter Vorlage einer Vollmacht ihres Mandanten bei dem SG und beantragte Prozesskostenhilfe unter ihrer Beiordnung. Dem gab das SG durch einen Beschl. v. 21.9.2015 mit Wirkung ab dem 26.8.2015 statt. Nach durchgeführter Akteneinsicht begründete die Antragstellerin die Klage mit einem siebenseitigen Schriftsatz v. 14.12.2015, wobei sie ausführte, ihr Mandant genieße Vertrauensschutz, weil ihm angesichts der Vielzahl von Anträgen und Leistungsbewilligungen – welche die Antragstellerin ausführlich referierte – sowie wegen seiner unzureichenden Kenntnis der deutschen Sprache keine grobe Verletzung seiner Sorgfaltspflicht angelastet werden könne. Auf die Erwiderung des Grundsicherungsträgers gab die Antragstellerin mit einem kurzen Schreiben v. 27.1.2016 erneut eine Stellungnahme ab. An der mündlichen Verhandlung v. 14.10.2016, die von 8.30 Uhr bis 9.15 Uhr dauerte, nahm sie in Begleitung ihres Mandanten teil. Auf Veranlassung des SGs erschien auch ein Dolmetscher für die kurdische Sprache. Das SG wies die Klage mit einem Urt. v. selben Tag ab.
Mit einem Schreiben v. 19.10.2016 hat die Antragstellerin für das Verfahren S 100 AS 1259/15 die folgende Vergütung geltend gemacht:
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV |
390,00 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV |
364,00 EUR |
Post- und Telekommunikationspauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
Dokumentenpauschale für 451 Ablichtungen, Nr. 7000 VV |
85,15 EUR |
Zwischensumme |
859,15 EUR |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
163,24 EUR |
Gesamtbetrag |
1.022,39 EUR |
Die Antragstellerin hat hierbei rechtsanwaltlich versichert, dass die geltend gemachten Auslagen während der Beiordnung entstanden sind. Die gefertigten Ablichtungen hat sie zunächst nicht eingereicht.
Die Kostenbeamtin der Geschäftsstelle hat mit Schreiben v. 21.10.2016 erwidert, gegen die Bemessung der Verfahrensgebühr bestünden keine Einwände. Hierbei werde auch die Vorbereitung des Termins berücksichtigt. Die Terminsgebühr sei jedoch bei einer Terminsdauer von 45 Minuten als durchschnittlich anzusehen. Besondere Schwierigkeiten bei der Durchführung des Termins seien nicht zu erkennen. Hinsichtlich der geltend gemachten Dokumentenpauschale fehle es an einem Nachweis der Notwendigkeit. Der Rechtsanwalt müsse sein Ermessen ausüben und dürfe nicht kurzerhand die gesamten Akten ablichten lassen.
Die Antragstellerin hat daraufhin die begehrte Höhe der Terminsgebühr damit begründet, dass eine umfangreiche Durchsicht der Verwaltungsvorgänge sowie eine zeitintensive Bearbeitung erforderlich gewesen seien. Da der Mandant zudem die deutsche Sprache nicht beherrsche, sei die Prozessführung nur mit einem Dolmetscher möglich gewesen, was sich gebührenerhöhend auswirken müsse. Die gute Vorbereitung des Termins habe zu dessen Verkürzung beigetragen, sodass nicht allein die Terminsdauer zur Bemessung der Terminsgebühr herangezogen werden dürfe. Hinsichtlich der Dokumentenpauschale hat die Antragstellerin ausgeführt, ihr stehe hinsichtlich der Erforderlichkeit der Ablichtungen ein Beurteilungsspielraum zu, von dem sie unter Berücksichtigung der allgemeinen Ve...