Nach dem Wortlaut gilt § 48 Abs. 6 RVG für beigeordnete oder bestellte Rechtsanwälte. Erfasst sind deshalb insbesondere Pflichtverteidiger, der gem. §§ 397a Abs. 1, 406h Abs. 3 Nr. 1 StPO dem Nebenkläger oder dem nebenklageberechtigten Verletzten bestellte Beistand und im Wege der PKH beigeordnete Rechtsanwälte. Allerdings sehen §§ 397a Abs. 2, 406h Abs. 3 Nr. 2 StPO nur die Bewilligung von PKH für die Zuziehung eines Rechtsanwalts und keine Beiordnung vor (s. dazu V.). Soweit die Anwendbarkeit von § 48 Abs. 6 RVG auch für im Wege der PKH zugezogene Nebenkläger-Vertreter bejaht worden ist, beruht das darauf, dass § 397a Abs. 2 StPO jedenfalls noch bis zum 30.9.2009 die Beiordnung im Wege der PKH vorgesehen hat (s. dazu V. 2. und 3.).
Das OLG Celle hat einem gem. § 397a Abs. 2 StPO vom Nebenkläger im Rahmen bewilligter PKH zugezogenen Rechtsanwalt die in § 48 Abs. 6 S. 1 RVG geregelte Rückwirkung für die vor Beantragung der PKH angefallene Vergütung versagt, weil es an der hierfür nach dem Wortlaut von § 48 Abs. 6 S. 1 RVG erforderlichen Beiordnung fehle. Soweit der Nebenkläger nach § 397a Abs. 2 StPO zur Ausübung seiner Rechte im Strafverfahren sich also eines Rechtsanwalts bediene (diesen "hinzuziehe"), sehe für diesen Nebenklagevertreter weder die StPO eine Bestellung noch die ZPO eine Beiordnung des Rechtsanwalts vor, sodass § 48 Abs. 6 S. 1 nicht anwendbar sei. Wie § 45 Abs. 1 RVG wird aber auch § 48 Abs. 6 RVG auf gem. §§ 397a Abs. 2, 406h Abs. 3 Nr. 2 StPO im Wege der PKH zugezogene Nebenkläger-Vertreter angewandt werden müssen (s. dazu ausf. V.).
3. Ausdrückliche gerichtliche Anordnung eines Wirksamkeitszeitpunkts
a) Sinn und Zweck von § 48 Abs. 6 RVG
Wenn das Gericht im Beiordnungs- oder Bestellungsbeschluss ausdrücklich bestimmt hat, dass der Rechtsanwalt mit Wirkung ab einem bestimmten Zeitpunkt beigeordnet oder bestellt wird, stellt sich die Frage, ob dann wegen § 48 Abs. 6 RVG auch vor diesem Wirksamkeitszeitpunkt erbrachte Tätigkeiten zu vergüten sind oder ob die gerichtliche Beiordnung oder Bestellung mit ihrer zeitlichen Einschränkung gem. § 48 Abs. 1 RVG maßgebend ist. Sinn der Regelung in § 48 Abs. 6 RVG ist es, Streit und Unklarheiten zu vermeiden, die durch eine späte Bestellungsentscheidung entstehen und die Effektivität einer Pflichtverteidigung oder sonstigen Vertretung beeinträchtigen können. Die Rückwirkungsfiktion und mit ihr eine umfassend abgesicherte Kostenübernahme durch den Staat erweist sich vor diesem Hintergrund nicht als vergütungsrechtlicher Selbstzweck, sondern stellt sich als Ausprägung rechtsstaatlich garantierter Pflichtverteidigung dar. Mit der Regelung wird ein kostenrechtlicher Gleichlauf mit der Wahlverteidigung bzw. Wahlvertretung angestrebt. Deshalb ist die vom Gericht vorgenommene gegenständliche (zeitliche) Beschränkung bei der Festsetzung gem. § 55 RVG vom Urkundsbeamten zu beachten.
b) Konkurrenz zwischen § 48 Abs. 6 RVG und gerichtlicher Anordnung eines Wirksamkeitszeitpunktes
Gem. § 48 Abs. 1 RVG bestimmt sich der Vergütungsanspruch nach dem Beschluss, durch den die PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist. Die ausdrückliche Anordnung eines Wirksamkeitszeitpunktes wird nicht durch die Rückwirkungsfiktion in § 48 Abs. 6 S. 1 RVG verdrängt. Denn die ausdrückliche gerichtliche Anordnung des Rückwirkungszeitpunkts ist vorrangig zu beachten. Für die Anwendung von § 48 Abs. 6 S. 1 RVG ist nur Raum, wenn das Gericht nichts anderes bestimmt hat. § 48 Abs. 6 S. 1 RVG dient nicht dazu, dem bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt bei der ausdrücklichen gerichtlichen Bestimmung eines Zeitpunktes, ab dem die Beiordnung oder Bestellung wirksam wird, einen darüber hinaus zurückwirkenden Vergütungsanspruch zu verschaffen. Insoweit bleibt es bei dem in § 48 Abs. 1 RVG verankerten Grundsatz, dass sich der Vergütungsanspruch nach den Beschlüssen bestimmt, durch die die PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Regelung in § 48 Abs. 6 RVG als ausschließliche Ausnahmeregelung für die Vergütung nach den Teilen 4–6 VV konzipiert worden ist. Es soll lediglich eine Absicherung des Vergütungsanspruchs für einer Beiordnung oder Bestellung vorausgehende Tätigkeiten erreicht werden.
Die Entscheidung des OLG Koblenz ändert daran nichts. Das OLG Koblenz hat lediglich festgestellt, dass auf den im Wege der PKH nach § 397a Abs. 2 StPO beigeordneten Rechtsanwalt § 48 Abs. 6 S. 1 RVG entsprechende Anwendung finde und der Nebenklägervertreter daher alle auch für den Wahlverteidiger vorgesehenen Gebühren erhalte. In dem vom OLG Koblenz entschiedenen Fall ...