ZPO § 91 RVG VV Nrn. 7003 ff.
Leitsatz
Beauftragt eine am Sitz des Prozessgerichts nicht ansässige Gesellschaft einen am Ort ihres ursprünglichen Unternehmenssitzes niedergelassenen Rechtsanwalt mit der außergerichtlichen und nach Verlegung des Unternehmenssitzes mit der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Ansprüche, so sind die Terminreisekosten des Rechtsanwalts jedenfalls dann uneingeschränkt zu erstatten, wenn sie die mit einem hypothetischen Anwaltswechsel verbundenen Kosten nicht übersteigen.
OLG Bamberg, Beschl. v. 27.5.2014 – 1 W 10/14
1 Sachverhalt
Im zugrunde liegenden Rechtsstreit hatte die in K. ansässige Klägerin mittels eines in H. ansässigen Prozessbevollmächtigten die Beklagte vor dem LG Aschaffenburg auf Zahlung eines Betrags in Höhe von 6.666,67 EUR aus der Beteiligung an einer atypischen stillen Gesellschaft in Anspruch genommen. Die Beklagte hatte sich mit einem entgegenstehenden Schadensersatzanspruch aus der Vertragsanbahnung der Beteiligung verteidigt.
Der vor dem LG Aschaffenburg anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung wurde vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin wahrgenommen. Der Rechtsstreit wurde durch einen rechtwirksamen Vergleich zwischen den Parteien beendet, wobei sich die Parteien auf eine Verteilung der Kosten des Rechtsstreits von 20 % zu Lasten der Klägerin und von 80 % zu Lasten der Beklagten geeinigt haben.
Im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren hat die Klägerin Kosten ihres Prozessbevollmächtigten geltend gemacht, bei denen sie Terminwahrnehmungskosten in Höhe von 668,94 EUR bestehend aus Reisekosten und Abwesenheitsgeldern in Ansatz gebracht hat.
Im Kostenfestsetzungsbeschluss berücksichtigte die Rechtspflegerin bei dem LG Aschaffenburg als der Klägerin zu erstattende Kosten neben den gesetzlichen Anwaltsgebühren und verauslagten Gerichtskosten auch zu erstattende Terminwahrnehmungskosten, diese jedoch nur in Höhe von 205,85 EUR, denen sie insbesondere anstelle der tatsächlich entstandenen Reisekosten fiktive Fahrtkosten für den Weg K.-Aschaffenburg zugrunde legte.
Gegen die Absetzung der Reisekosten hat die Klägerin sofortige Beschwerde eingelegt.
Das LG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
2 Aus den Gründen
Die gem. § 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
1. Nicht zu beanstanden ist allerdings zunächst der an der ständigen Rspr. orientierte Ansatz im angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss: Beauftragt ein Unternehmen, das bei einem auswärtigen Gericht klagt, einen Rechtsanwalt, der weder am Gerichtsort noch am Unternehmenssitz der Partei ansässig ist, mit der Prozessführung, sind die Reisekosten des Rechtsanwalts regelmäßig nur bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten vom Unternehmenssitz zum Gerichtsort erstattungsfähig (vgl. BGH VersR 2012, 595; 2012, 593 [= AGS 2012, 434]; 2011, 1584; OLG Bamberg JurBüro 2014, 28; OLG Nürnberg Rpfleger 2013, 360 [= AGS 2013, 201]; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.6.2012 – 10 W 3/12).
Zutreffend ist auch, dass es für sich allein noch nicht als alleiniger Grund zur Beauftragung eines auswärtigen Prozessbevollmächtigten anzusehen ist, wenn eine Partei einen auswärtigen Rechtsanwalt nur deshalb wählt, weil sie mit ihm durch eine langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit verbunden ist. Anderes kann allenfalls dann gelten, wenn Besonderheiten in der Sache selbst und ihrer Bearbeitung die Annahme rechtfertigen, dass am Ort des Prozessgerichts oder am Sitz der Partei keine zur sachangemessenen Prozessvertretung geeigneten Rechtsanwälte zugelassen sind (vgl. BGH NJW-RR 2009, 283 m.w.Nachw.). Hierzu hat die Klägerin aber nicht hinreichend vorgetragen.
2. Über die fiktiven Reisekosten eines am Sitz der Partei ansässigen Rechtsanwalts hinausgehende Reisekosten kann die Partei jedoch dann gegen den unterlegenen Gegner festsetzen lassen, wenn die Beauftragung des Anwalts am sog. "dritten Ort" durch besondere Gründe veranlasst war (vgl. BGH a.a.O.; OLG München zfs 2013, 47; OLG Nürnberg a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O. jeweils m.w.Nachw.; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 21. Aufl., Nrn. 7003-7006 VV Rn 142).
Eine solche Fallkonstellation, die zur ausnahmsweisen Erstattungsfähigkeit der Kosten eines "Anwalts am dritten Ort" führt, liegt hier vor, nachdem die Klägerin mit der Prozessführung Rechtsanwälte beauftragt hat, die sie zuvor an ihrem ursprünglichen Unternehmenssitz mit der außergerichtlichen Interessenwahrnehmung betraut hatte.
Die Klägerin hat, mittelbar belegt durch den prozessgegenständlichen vorgerichtlichen Schriftverkehr unwidersprochen vorgetragen, die in H. ansässigen späteren Prozessbevollmächtigten bereits Anfang 2010 mit der vorgerichtlichen Interessenwahrnehmung gegenüber der Beklagten betraut zu haben, also zu einer Zeit, als der Unternehmenssitz ebenfalls noch in H. war. Erst im11.2011 sei der Unternehmenssitz nach K. verlagert worden.
a) Zwar ist der Umstand, dass der mit der Prozessvertretung beauftragte auswärtige Rechtsanwalt für die Partei in d...