Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
Ungültige Stimmabgabe in der Versammlung kann nach allgemeinen Regeln des BGB mit dem Ziel angefochten werden, sie durch eine gültige zu ersetzen
Anfechtung ist jedenfalls bis zum Abschluss der Auszählung von Stimmzetteln (hier: bei "offener" Abstimmung mittels schriftlicher Stimmzettel) möglich
Normenkette
§ 23 WEG, § 119 Abs. 1 BGB
Kommentar
1. Bei durchgeführter "offener" schriftlicher Abstimmung mittels Stimmkarten hatte ein Eigentümer versehentlich einen leeren Stimmzettel abgegeben. Nach dem Einsammeln der Stimmzettel wurde der betreffende Eigentümer vom Verwalter/Versammlungsleiter darauf hingewiesen, dass dieser jetzt noch seine Stimmzettel vervollständigen könne. Der Auszählvorgang war zu dieser Zeit noch nicht beendet. Nach Vervollständigung der Stimmzettel durch den Eigentümer wurde dann erst das Ergebnis der Abstimmung bekannt gegeben.
2. Die einzelne Stimmabgabe durch einen Wohnungseigentümer in Ausübung seines Stimmrechts ist als einseitige empfangsbedürftige, gegenüber den übrigen anwesenden Eigentümern oder dem Versammlungsleiter abzugebende Willenserklärung zu qualifizieren, die auf die Herbeiführung einer Rechtswirkung gerichtet ist, nämlich auf die Entscheidung der Wohnungseigentümer, einen Beschlussantrag anzunehmen oder abzulehnen (h.M.). Als Willenserklärung unterliegt die Stimmabgabe auch hier den allgemeinen Regelungen des BGB für Willenserklärungen, insbesondere den Vorschriften über die Anfechtbarkeit und das Wirksamwerden. Im vorliegenden Fall lag ein Irrtum in der Erklärungshandlung eines Eigentümers vor, der versehentlich keine Vermerke auf seinen Stimmkarten (zunächst) vorgenommen hatte (vgl. § 119 Abs. 1 Fall 2 BGB, "Erklärungsirrtum"). Schon der äußere Erklärungstatbestand entsprach nicht dem Willen des Erklärenden, der mit "Ja" stimmen wollte, tatsächlich aber insoweit eine ungültige Stimme abgab. Deshalb konnte er seine Stimmabgabe mit dem Ziel anfechten, die ungültige Stimmabgabe durch eine gültige zu ersetzen. Sein Verhalten war hier als Anfechtungserklärung auszulegen; die Anfechtung der ursprünglichen Stimmabgabe (Abgabe eines leeren Stimmzettels) hatte deren Nichtigkeit zur Folge.
Zum Zeitpunkt der Anfechtung war der Abstimmungsvorgang noch nicht beendet. Wird eine Abstimmung mittels schriftlicher Stimmzettel offen vor den Augen sämtlicher Versammlungsteilnehmer (also nicht geheim) durchgeführt, kann die Stimmabgabe mit dem oben genannten Ziel jedenfalls bis zum Abschluss der Auszählung der Stimmzettel durch den Versammlungsleiter wiederholt werden. Zu diesem Zeitpunkt war der Abstimmungsvorgang jedenfalls noch nicht beendet; es bestand noch Korrekturmöglichkeit bis zum Abschluss der Auszählung, um eine erneute Beschlussfassung zu vermeiden oder gar den Anfechtenden auf Antragsmöglichkeit nach § 23 Abs. 4 WEG zu verweisen.
3. Offen bleiben kann in diesem Zusammenhang, bis zu welchem Zeitpunkt im Hinblick auf § 130 BGB ein Widerruf einer Stimmabgabe möglich wäre; desgleichen kann dahinstehen, wann im Fall eines schriftlichen Abstimmungsverfahrens nach § 23 Abs. 3 WEG ein Eigentümerbeschluss zustande kommt.
Im vorliegenden Fall wurde deshalb die Beschlussanfechtung zurückgewiesen, da der Beschluss auch nicht an Formfehlern litt und Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung entsprach.
4. Auch außergerichtliche Kostenerstattung im Rechtsbeschwerdeverfahren bei Geschäftswert dieser Instanz von DM 60.000,-.
Link zur Entscheidung
( BayObLG, Beschluss vom 16.03.2000, 2Z BR 168/99= BayObLGZ 2000 Nr. 14)
zu Gruppe 5: Rechte und Pflichten der Miteigentümer